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- Wachsende Erschwernisse in der Pflege -

Als Aufgaben der Pflegekassen sind festgeschrieben (SGB XI § 12):

Sie stellen insbesondere sicher, dass im Einzelfall ärztliche Behandlung, Behandlungspflege, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Grund-pflege und hauswirtschaftliche Versorgung nahtlos und störungsfrei ineinandergreifen.

Eine eindeutige Verpflichtung mit besonderen Hervorhebungen: Medizinisch, Einzelfall, nahtlos und störungsfrei ineinandergreifen.
Wie verträgt sich das mit der schlechten Honorierung von Ärzten für Besuche in Pflegeheimen oder für Hausbesuche bei pflegebedürftig Erkrankten, die dazu führt, dass “ärztliche Behandlung, Behandlungspflege, Leistungen zur Rehabilitation” mehr und mehr verkümmern ?
Diese Lasten sind den privat Pflegenden auferlegt und in den Pflegeheimen dem Personal. Das aber besteht aus Altenpflegerinnen und Altenpflegern. Diese haben eine andere Ausbildung als Krankenschwestern und Krankenpfleger.

Ich kann nicht umhin, an dieser Stelle aufzulisten, worin eigentlich examinierte Altenpflegerinnen und Altenpfleger geschult sind, und was zu ihren Aufgaben gehört. Die Caritas wirbt für ihre Altenpflegeschulen.

Da heißt es zunächst:
Der Unterricht findet in Lernfeldern statt, wodurch ein vernetztes Denken der Auszubildenden gefördert werden soll. Nun stelle ich Ihnen dar, was zu diesem “vernetzten Denken” gehört:

1.1 Aufgaben und Konzepte der Altenpflege 80 Std.
1.2 Pflege alter Menschen planen, durchführen, dokumentieren und evaluieren 120 Std.
1.3 Alte Menschen personen- und situationsbezogen pflegen  720 Std.
1.4 Anleiten, beraten und Gespräche führen  80 Std.
1.5 Bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitwirken   200 Std.
2.1 Lebenswelten und soziale Netzwerke  alter Menschen berücksichtigen   120 Std.
2.2. Alte Menschen bei der Wohnraum- und Wohnumfeldgestaltung unterstützen    60 Std.
2.3 Alte Menschen bei der Tagesgestaltung/ selbst organisierten Aktivitäten zu unterstützen  120 Std.
3.1 Rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen berücksichtigen  120 Std.
3.2 An qualitätssichernden Maßnahmen in der Altenpflege mitwirken     40 Std.
4.1 Berufliches Selbstverständnis entwickeln        60 Std.
4.2 Lernen lernen   40 Std.
4.3 Mit Krisen und schwierigen sozialen Situationen umgehen   80 Std.
4.4 Die eigene Gesundheit erhalten und fördern      60 Std.

Berufspraktische Ausbildung 2.500 Std., insgesamt mindestens 4.600 Std. in 3 Jahren. (Faltblatt “Ausbildung zur Altenpflegerin und zum Altenpfleger”, Caritas)

Ich meine, dazu sind Anmerkungen fällig.

Einige Punkte sind recht merkwürdig, und man fragt sich, ob sie nicht überflüssig sind. Das unnütz verwendete Fremdwort “evaluieren” bedeutet “einschätzen”, “eine Situation bewerten können”, und soll wohl ausdrücken, dass die Schülerinnen und Schüler lernen sollen, sich in die individuellen Besonderheiten aller ihnen anvertrauten Bedürftigen einfühlen zu können, sich ihnen gegenüber angemessen zu verhalten und sie in ihren persönlichen und sozialen Angelegenheiten beraten zu können. Also eine Form der persönlichen Zuwendung, die ich vermisse. Sehr wichtige Aufgaben, die später im Pflegealltag erlahmen, weil sie nicht “ gepflegt” werden können.

Ebenso verhält es sich mit dem Punkt 2.1. Der ist mal wieder hochgeschraubt: “Lebenswelten und soziale Netzwerke alter Menschen berücksichtigen”. Schön wäre es, wenn die späteren Altenpflegerinnen und Altenpfleger dies bei ihrer praktischen Arbeit berücksichtigen könnten. Dafür wird ihnen keine Zeit bleiben.

Eine wichtige Lernaufgabe bedeutet Punkt 4.4: “Die eigene Gesundheit erhalten und fördern”. Wie sich dieses Gelernte später anwenden lässt, ist weitgehend eine Frage des Arbeitgebers.

In einer anderen Ausbildungsbeschreibung heißt es wesentlich praxisbezogener, es werde gelehrt, Hilfe zu leisten bei der Körperpflege und beim Essen, und die Lehre enthalte die Ausführung ärztlicher Verordnungen, die Verabreichung von Medikamenten, Verbandswechsel sowie Bewegungs- und Atemübungen. Erlernt werden soll auch die Mitwirkung bei Behandlung und Rehabilitation kranker, pflegebedürftiger und an Demenz erkrankter Menschen im Heim.

Nehme ich alles zusammen, dann muß ich feststellen: Eine medizinische Ausbildung findet nicht statt. Das Medizinische beschränkt sich auf die Aufgabe, “bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitzuwirken.”

Im Sozialgesetzbuch XI steht im § 11 Abs. 1: Die Pflegeeinrichtungen pflegen, versorgen und betreuen die Pflegebedürftigen ... entsprechend dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse.

Das ist mal wieder schwammig ausgedrückt. Um medizinisch-pflegerisch handeln zu können, wäre wohl die Ausbildung als Krankenschwester oder Krankenpfleger notwendig. Auf den Altenpflegeschulen soll neuerdings im Ausbildungsumfang intensiver auf Krankenpflege eingegangen werden. Doch geschieht das innerhalb der 4.600 Lehrstunden, kann also gegenüber der medizinischen Ausbildung von Krankenschwestern und -pflegern nur mehr oder weniger in Hinweisen bestehen. Darüber hinaus sei angemerkt, es steht in den Ausbildungskriterien nichts davon, dass das fachlich examinierte Pflegepersonal in der Praxis auch Küchen- und Servierdienste zu leisten hat.

Bei der evangelischen Altenpflege heißt es zur Ausbildung, der Beruf habe “beste Aussichten”. Altenpflege ist ein anspruchsvoller Beruf mit Zukunft. ... Die Zukunft war noch nie so gut wie heute. Immerhin werde u.a. ein “hoher Praxisbezug” gelehrt. (Faltblatt EVIM-Altenhilfe.)

Praxisbezug ?

Ich habe sehr eingehend die Probleme des Pflegepersonals in den Heimen geschildert. Aber leider gibt es auch Verhaltensweisen, die nicht akzeptabel sind. So höre ich, dass Pflegebedürftige zwar bei Sonnenschein in den Garten gebracht werden, aber niemand kümmert sich darum, dass sie die nötige Flüssigkeit zu sich nehmen. Oder dass in den Wohnzimmern Türen und Fenster offen stehen und die Hilfebedürftigen im Rollstuhl im kalten Luftzug sitzen. Auch zeigt sich etwas sehr bedenkliches, was möglicherweise dem stressigen Alltag des Pflegepersonals zuzuordnen ist, aber nicht geschehen darf. Die Schwerstpflegebedürftigen (Pflegestufe III) werden am wenigsten beachtet, weil sie sich nicht so bemerkbar machen können wie die weniger Erkrankten. Diese machen eher auf sich aufmerksam und fordern die Pflegekräfte. Die zwangsläufig Stillen sind benachteiligt. Das ist nicht hinnehmbar und verlangt das Engagement der Heimleitungen, denn schließlich zahlen die Schwerstpflegebedürftigen das höchste Heimentgelt. - Wird in der Ausbildung gelehrt, dass Gedankenlosigkeit und Nachlässigkeit nicht vorkommen dürfen ?


*

Was sind denn nun im Gesundheitswesen wirklich gründlich ausgebildete Fachkräfte mit Examensabschluß ? Hier herrscht Begriffsverwirrung. Es gibt die Krankenschwestern, das ist noch eine eindeutige Berufsbezeichnung.
Aber was zum Beispiel ist das männliche Pendant zur Krankenschwester ?

Der Krankenpfleger ? Nanu. Es gibt doch auch die Bezeichnung “Krankenpflegerin” und neuerdings sogar die “Gesundheitspflegerin”. Sind ausgebildete Altenpflegerinnen und Altenpfleger auch für junge Pflegebedürftige geschult ?

Was ist Behindertenhilfe im Gegensatz zur Pflegehilfe, und wer ist dafür kompetent ? Es gibt “Heilerziehungspfleger”, “Heilpädagogen”. Worin sind diese ausgebildet ? Was tun sie für Pflegebedürftige ? Inzwischen gibt es auch “Genesungsbegleiter”, “Pflegewirte” und, wie zu lesen ist, “Altenhilfe-Service-Assistentinnen”. Was leisten die ? Und die vielen Hilfskräfte ? Oder gar Leiharbeiter ? Ausgebildet ? Wohl kaum, eher nur angelernt. Das Chaos ist ebenso perfekt wie die unterschiedliche und allgemein schlechte Bezahlung.
 
Über die Frage “Wer ist wie ausgebildet ?” komme ich noch einmal zum Thema “Medizinische Betreuung und Behandlungspflege”. Von den 82 Punkten der erwähnten “Bewertungskriterien für die Pflegequalität der stationären Pflegeeinrichtungen” beziehen sich 32 auf “Pflege und medizinische Betreuung”. Hier werden Dinge vermengt, nämlich Pflegebetreuung und Krankenbetreuung. Mehr und mehr werden die Altenpflegerinnen und Altenpfleger zu Krankenschwestern und Krankenpflegern. Einer der Kriteriumspunkte fragt: Ist bei Bedarf eine aktive Kommunikation mit dem Arzt nachvollziehbar ? Das soll aus der “Pflegedokumentation” hervorgehen.

Diese “aktive Kommunikation” habe ich oft bei meiner Anwesenheit im Pflegeheim kennen lernen können. Der Arzt taucht auf, wie er gerade Zeit hat und aus seiner Praxis abkömmlich ist. Der Arzt ?

Weil jeder Heimbewohner möglicherweise einen anderen Hausarzt hat, können es beispielsweise bei 20 Patienten 20 Ärzte sein. Jedes Erscheinen eines Arztes bringt beim Pflegepersonal den Alltagsablauf durcheinander. So muß dann mindestens eine der Pflegerinnen bei der Untersuchung dabei sein, eine des Stammpersonals !

Sie ist aber zugleich die Bezugsperson des von ihr betreuten Pflegebedürftigen gegenüber dem Arzt, muß also vermitteln und ggf. beruhigen. Für den Arzt jedoch ist sie Sprechstundenhilfe, Assistentin und Krankenschwester in einer Person. Sie muß die Anweisungen des Arztes für die regelmäßige Behandlung und die Medikamentenversorgung genau notieren, und zwar so, dass auch die Kolleginnen und Kollegen der anderen Schichten sich danach richten können.

Der Arzt hat es eilig und ist schnell wieder fort, nachdem er noch ein Rezept ausgefüllt hat. Die Pflegerin muß die Apotheke anrufen, die Medikamente bestellen (und sie nach Lieferung auch genau kontrollieren). Dann erst kann sie sich dem pflegerischen Alltagsablauf wieder zuwenden, für den viel Zeit verloren gegangen ist. Sofern nicht gerade der nächste Arzt erscheint.

Das ist zuviel, aber es ist Realität. Hinzu kommt: Die Belastungen der Pflegerinnen und Pfleger verschlimmern sich mit jeder Gesundheitsreform. Zu der Verschlechterung mit der Situation der Ärzte kommen inzwischen noch weitere Erschwernisse hinzu.

Es ist bei den Krankenhäusern zur Regel geworden, Erkrankte und auch jüngst operierte Patienten schon nach wenigen Tagen zu entlassen. Die Verweildauer im Krankenhaus betrage im Schnitt derzeit acht Tage, sei festgestellt worden; vor Jahren seien es noch 13 Tage gewesen. (WK, 27. Februar 2009).

Die notwendige Genesung ist in diesem Stadium noch keineswegs erreicht. Mit grober Fahrlässigkeit wird es den Erkrankten und Operierten selbst überlassen, wie sie die volle Gesundung wieder erreichen. Jungen Menschen gelingt dies eher als den alten und gebrechlichen. Kommt jemand aus einem Pflegeheim in ein Krankenhaus, wird er wieder dorthin zurückgeschickt. Hier nun haben die Pflegerinnen und Pfleger die ganze Mühe der Nachsorge zu tragen. Jeder Fall, der aus einem Krankenhaus abgeschoben wird, geht zu ihren Lasten. Und das bei ausgedünntem Personal und schlechter Bezahlung.

Wie bereits deutlich dargestellt: Altenpflegerinnen sind keine Krankenschwestern. Bei der Nachsorge können gefährliche Situationen entstehen. In Krankenhäusern kann es zu Infektionen kommen, die nicht nur hartnäckig, sondern auch ansteckend sind. Es handelt sich zum Beispiel um MRSA-Erreger (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus), die Hautinfektionen oder im Körper gefährliche Gesundheitsschäden verursachen können. Derartige Erkrankungen sind Quarantänefälle. Pflegekräfte, die einen MRSA-Patienten zu betreuen und zu versorgen haben, müssen Schutzkleidung, Einmalhandschuhe und Mundschutz tragen. Danach muß desinfiziert werden. Was für eine Belastung für das Pflegepersonal !

Die Betreuerinnen und Betreuer haben zusätzliche Verantwortungen zu tragen, medizinische, die über ihr Metier hinausgehen. Sie werden damit konfrontiert; der Leistungsdruck verstärkt sich. Ihre Aufgabe, die ihnen anvertrauten Pflegebedürftigen zu betreuen, wird erschwert. Auch für die Betreuten ist das ein Dilemma.

Kritiker stellen fest, wir haben ein leistungsfeindliches Gesundheitssystem, und in unserer Gesellschaft fehle es weitgehend an Anerkennung für pflegerisches Engagement.

Das Gesundheitswesen befindet sich in einer Schieflage. Es werden Lasten umverteilt, und ganz offensichtlich sind Altenpflegerinnen und Altenpfleger diejenigen, denen immer mehr angelastet wird. Hinzu kommen noch die psychische und die physische sowie die Stressbelastung und die nicht gerade angemessene Bezahlung.

So wird es eben nicht mehr ein Beruf “mit Zukunft” sein, sondern dafür bald keine Interessenten mehr geben. Dann stirbt der Beruf aus, und das zu einer Zeit, in der die Zahl der Pflegebedürftigen rasch ansteigt. Tolle Aussichten !

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