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- Pflegeheim - ein Beispiel -

Die “Treppe” hinauf enden unheilbar Erkrankte schließlich im Pflegeheim.

Die Verweigerungshaltung meiner Frau in Sachen Nahrungsaufnahme nahm zu. Ich hatte meine liebe Mühe, sie zum Essen zu bewegen. Es kostete mich Nerven, und es passierte, dass ich mit ihr schimpfte. Kurz danach tat es mir leid. Es geschah auch, dass sie beim Stehen wegknickte, so dass es mir fast unmöglich wurde, sie am Waschbecken gleichzeitig zu halten und zu waschen. Dann schaffte sie es eines Tages nicht mehr, aus dem Bett zu kommen, sie war zu schwach. Ein Anruf beim Hausarzt ließ diesen entscheiden, sie müsse ins Krankenhaus, um gründlich untersucht zu werden, woher die Appetitlosigkeit komme. Ein Krankentransport brachte meine Frau in die Klinik.
Dort war sie in guter Pflege und wurde auch aufgepäppelt. Der behandelnde Arzt im Krankenhaus war ein angesehener Spezialist, wie ich aus Fachkreisen erfuhr. Noch heute bin ich ihm dankbar für einen Tipp, den er uns gab - und den ich hiermit an Sie weitergeben möchte.

Er mahnte: “Es gibt Ärzte und Krankenhäuser, die schon bei leichteren Fällen von anhaltender Appetitlosigkeit das Setzen einer Magensonde empfehlen. Wenn die Situation nicht akut lebensbedrohlich ist, geben Sie dazu nicht Ihre Zustimmung. Es ist ein erheblicher Eingriff in die Lebensqualität des Betroffenen, und gerade die muß gefördert und darf nicht belastet werden.”
Ein Krankenhausaufenthalt hat ja zeitlich seine Grenzen.

Eine Reha-Unterbringung wäre angebracht gewesen. Doch der behandelnde Arzt meinte, diese Maßnahme würde länger dauern, als es den Umständen nach möglich sei. So begann ich mit meinem Sohn, ein Pflegeheim zu suchen. Wir hatten Glück und fanden die Möglichkeit einer kurzfristigen Aufnahme in einem guten Heim in der Nähe unserer Wohnung. Zunächst war von unserer Seite nur angedacht, dass meine Frau dort eine Regenerationsphase durchstehen sollte, um nach Besserung wieder nach Hause zurückkehren zu können. Doch das erwies sich als frommer Wunsch.

In dieser Situation ergab sich etwas, dass bei meiner Frau zu einer Umstimmung führte. Sie konnte im Rollstuhl sitzen, was in unserer Wohnung nicht möglich gewesen war. Obwohl sie nicht sehr kommunikativ veranlagt war, muß es doch ihr Interesse erweckt haben, nach den vielen Jahren, die sie pflegebedürftig nur mit mir allein in der Wohnung verbracht hatte, unter Menschen zu sein.

Ich merkte, wie sie die Mitbewohner beurteilte und mir deren Vorzüge und Nachteile schilderte. Zudem fanden die Pflegekräfte und speziell das Stammpersonal im Wohnbereich einen guten Kontakt zu ihr. Ich will nicht sagen, dass sie sich im Heim wohlfühlte; es blieb ihr immer fremd. Aber der Aufenthalt dort wurde zum Alltag.

Ich hatte ausführlich dargelegt, wie wichtig der Faktor “Persönliche Zuwendung” ist. Als Besucher meiner Frau im Pflegeheim wurde mir das besonders bewusst.

Viele, viel zu viele, haben keine Kontakte, sind allein oder werden allein gelassen. Meine Frau äußerte einmal, sie wolle nicht abgeschoben werden in ein Pflegeheim. Auch das gehörte zu ihren Ängsten. Die Nähe des Heims zu unserer Wohnung machte es mir möglich, kontinuierlich Kontakt zu ihr zu halten. Sie war damit aber eine Ausnahme, denn nur wenige Heimbewohner erhielten regelmäßig Besuche von Angehörigen oder Freunden. Natürlich war ich in einer besonderen Situation, denn ich stand nicht mehr im Berufsleben und wohnte am Ort.

Die “persönliche Zuwendung” ist das größte Manko in Sachen Pflege.

Selbst in einem guten Pflegeheim ist es dem Personal nicht möglich, dieser Aufgabe so intensiv nachzukommen, wie es notwendig wäre. Dazu lässt der Pflegealltag keine Zeit.

Die persönliche Zuwendung bleibt Privatsache. Hierbei sind Angehörige, Freunde, Bekannte gefordert, und das funktioniert mitunter überhaupt nicht. So sind die Pflegebedürftigen, besonders die Alten, tatsächlich abgeschoben.
Gute Heime bemühen sich, eine Wohngemeinschaft herzustellen. Im Heim, in dem meine Frau war, ist es üblich, die Neuankömmlinge als Heimbewohner mit einer kleinen Feier zu begrüßen und sie so in die Gemeinschaft aufzunehmen.

In der Einladung der Heimleitung zu einem “Begrüßungskaffee” nach ein paar Wochen des Einlebens heißt es: Sie haben neue Menschen und viele neue Lebenssituationen kennen gelernt. Dass dieses als Seniorinnen und Senioren häufig beschwerlich ist, erleben wir immer wieder. Trotzdem hoffen wir, dass Sie sich in Ihrem neuen Lebensbereich wohlfühlen.

Eine gut gedacht und freundliche Initiative !

 Aber alle gute Absicht verpufft vor der Realität, dass sich mit den “neuen Menschen” eine Gemeinschaft nicht erreichen lässt. In jeder Jugendherberge entsteht eine Gemeinsamkeit von selbst, in einem Pflegeheim nicht. Wie auch ?

Jeder Alte mit Gebrechen, jeder schwer Erkrankte weiß oder ahnt im Unterbewußtsein, dass er im Pflegeheim an der Endstation seines Lebens angelangt ist. Was gaukeln uns Reiseprospekte und Veranstaltungskalender vor über die Rentnergeneration, die topfit ist und ihren Lebensabend genießt. Diese Zeit kann sehr kurz sein. Was folgt, ist eine lange Zeit des Dahinsiechens, von kleinen Anfängen bis zur schweren Behinderung. Wohl dem, der dabei Beistand hat durch Ehepartner, Kinder, Geschwister oder Freunde. Aber dieser Beistand darf nicht enden bei dem Gedanken, der Erkrankte sei ja nun im Pflegeheim gut aufgehoben. Die persönliche Zuwendung muß weitergehen, und jeder, der einen Pflegefall zu betreuen hat, muß dazu den richtigen Weg finden.

Bei meinen Besuchen im Pflegeheim habe ich die Situation kennen gelernt. Einige der Pflegefälle sind bettlägerig, etwa 80% sitzen im Rollstuhl, fast alle dämmern vor sich hin. Gespräche wie unter Nachbarn entstehen kaum.

Die Heimleitung bemüht sich um Animationsprogramme: Lesezirkel, Malstunden, Singstunden, Kochen, leichte Gymnastik. Abwechslung zwar, aber immer nur für kurze Zeit. Und nicht jedem liegen derartige Veranstaltungen. Meine Frau zum Beispiel lehnte sie immer ab. Selber schuld ? Gruppenbetätigungen, die einem im Leben nicht wichtig waren, wecken auch im Alter kein Interesse. Mir geht es genau so.

Meine Frau war Raucherin. Im Verlauf ihrer zunehmenden Erkrankung hatte sich ihr Zigarettenkonsum erheblich reduziert. In den Heimräumen konnte sie nicht rauchen. Aber es war ihr angenehm, dass ich sie im Rollstuhl bei meinen Besuchen auf die Terrasse schob und bei ihr saß beim Rauchen einer Zigarette.

Dies diente ihrer Entspannung, und von Ärzten und Psychologen wird bestätigt, dass so etwas als Therapie wichtig ist, um der Gefahr eines Verlustes von Individualität entgegen zu wirken. Hier nun mußte ich im Heim erleben, wie durch unverständliche Bestimmungen gerade das, was an persönlicher Zuwendung wichtig war, konterkariert wurde.

Auch unter dem Pflegepersonal gab es Raucher. Zigarettenpausen sind für Menschen, die an Rauchen gewöhnt sind, Rastpausen. Sie dienen einer kurzen Erholungsphase und nach Stresssituationen zur Wiederherstellung der Konzentration.

Es stärkt das persönliche Wohlbefinden, und dies ist ja nun gerade bei der häufig sehr komplizierten und Geduld erfordernden Pflegetätigkeit von ausschlaggebender Bedeutung. Obwohl ich Nichtraucher bin, hatte ich das Rauchverhalten von Pflegekräften im Wohnbereich meiner Frau so beurteilt.

Niemand konnte sich meines Erachtens daran stören, wenn Pflegekräfte in Verschnaufpausen nach anstrengendem Einsatz kurz im Sitzen für ein paar Raucherzüge auf der offenen Terrasse innehielten. Sie leisteten dabei meiner Frau und mir Gesellschaft und gaben Gelegenheit zu persönlichen Gesprächen, die sonst im Zuge der sich ständig verändernden Inanspruchnahme des Pflegepersonals nicht möglich gewesen wären. Dieses kurze Zusammensitzen konnte nun wirklich dem Aspekt “Persönliche Zuwendung” zugeordnet werden.

Plötzlich kam die Heimleitung auf die Idee, dem Pflegepersonal - nicht den Pflegebedürftigen - das Rauchen auch auf den Freiflächen wie Balkons und Terrassen zu untersagen. Sie wurden außerhalb des Hauses auf den Hof verwiesen, ohne Dach und Sitzgelegenheiten.

Natürlich ergab sich ein negativer Einfluß auf die Stimmungslage der Betroffenen, was sich aufs Betriebsklima auswirkte. Demgegenüber wäre gerade die Sicherstellung eines guten Gemütszustands des Pflegepersonals wünschenswert. Die Maßnahme war psychologisch falsch, und es zeigte sich dabei, dass es auch in einem guten Heim Defizite geben kann. Manchmal hängt die Stimmungslage an Fehlentscheidungen, und die dürften gerade in einem Pflegeheim, in dem alle Zuwendung des Personals den Pflegebedürftigen zugute kommen muß, nicht entstehen.

Ich will auch gleich einen weiteren Punkt aufgreifen, der dem Thema “Persönliche Zuwendung” nicht zuträglich ist. Für das Pflegepersonal ist es eine vordringliche Aufgabe, den Pflegebedürftigen ein Heim zu bieten, ein neues Heim nach Verlassen der vertrauten privaten Umgebung. Dass dies schwierig und im Pflegealltag kaum zu leisten ist, hatte ich schon erwähnt.

Dennoch kann eine Vertrautheit zwischen dem Personal und den Kranken entstehen: Man lernt sich kennen. Die Pflegenden wissen sehr bald, mit welchen Problemen sie bei den Betreuten zu rechnen haben und wie sie am besten auf den Einzelnen eingehen können. Das wird Teil der Alltagsroutine, und bei aller Hektik des Ablaufs gibt es freundliche und aufmunternde Worte oder gegebenenfalls sanfte Ermahnungen.

Jeder Erkrankte hat seine individuellen Merkmale. Gerade im Pflegeheim haben diese Merkmale eine ausschlaggebende Bedeutung für ein Wohngefühl in neuer, ungewohnter Umgebung.

Ist in einem Krankenhaus die Überwindung einer Krankheit von Wichtigkeit und die Situation endet mit der Entlassung aus dem Krankenhaus, so ist demgegenüber der Aufenthalt in einem Pflegeheim dauerhaft und die Eingewöhnung vorrangig. Es kommt in höchstem Maße auf ein gutes Verhältnis zwischen Pflegepersonal und Betreuten an.

Wie aber ist der Zustand in den Heimen ? Es gibt wohl nur wenige Ausnahmen und betrifft auch gute Heime: Das Stammpersonal ist zu gering. Die wirklichen Fachkräfte, die zum festen Stamm eines Hauses gehören, die die gegebenen Voraussetzungen kennen, ihre gute Ausbildung haben und ihre Erfahrungen einsetzen, stehen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung.

Dies hat zwei Ursachen. Zum einen herrscht ein Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften. Gründe dafür gibt es mehrere, denn der Beruf ist nicht verlockend. Er ist stressig, gesundheitlich heikel, seelisch belastend. Meine Frau war von Beruf Säuglingsschwester. Sie hatte diese Ausbildung bewusst gewählt, weil, wie sie sagte, es immer ein Erfolgserlebnis war, wenn man ein kleines Kind gesund oder genesen ins Leben entlassen konnte.

Das ist im Bereich der Altenpflege nicht gegeben. Hier kommt es nicht nur darauf an, pflegebedürftige Menschen zu betreuen, sondern auch Zuspruch zu leisten, zu trösten und sie ggf. im Sterben zu begleiten. Dazu hat man eine besondere Verantwortung zu tragen. Das ist nicht jedermanns Sache. Hinzu kommt, dass die jungen Menschen heutzutage nicht gerne im Schichtdienst arbeiten wollen. Und überhaupt ist der Beruf nicht attraktiv genug, schon gar nicht in Bezug auf die Bezahlung.

Er wird ja auch nicht attraktiv gemacht, sondern dümpelt so dahin, eigentlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit, nämlich in den Pflegeheimen. Soll man doch mal eine Umfrage machen unter den tätigen Altenpflegerinnen und -pflegern, wer von ihnen jungen Menschen diesen Beruf wärmstens empfehlen würde !

Die zweite Ursache hängt mit der ersten zusammen. Die echten, gut ausgebildeten Fachkräfte sind den Heimen zu teuer. Deshalb wird eine Neubesetzung freigewordener Stellen möglichst hinausgezögert und im Rahmen von Leiharbeit durch ständig wechselndes Ersatzpersonal ausgeglichen.

So fehlt es in allen Wohn- und Betreuungsbereichen an Pflegerinnen und Pflegern, die dem Heim fest verbunden sind. Ersatzkräfte mögen in Notwendigkeiten der Pflege bewandert sein, sie wissen aber nichts von den erwähnten individuellen Merkmalen der Pflegebedürftigen. Das stets kurzfristig wechselnde Hilfspersonal kann die nötige persönliche Zuwendung nicht einmal in Ansätzen entwickeln.

Zweite Folge:


Die wenigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Stammpersonals müssen die Hilfskräfte einweisen und mit den besonderen Konstellationen vertraut machen. Auch ist es gerade in der Pflegebetreuung wichtig, nachzuprüfen, ob nicht Fehler geschehen oder gar schon geschehen sind. Das Stammpersonal wird zusätzlich belastet.

Bei dem zu geringen Personalbestand kommen auch ständig Verschiebungen vor. Ist jemand in einem Wohnbereich schon längere Zeit tätig und kennt die Situation vor Ort, erfolgt plötzlich seine Versetzung in einen anderen Wohn-bereich mit fremden Gegebenheiten. Hier werden menschliche Kontakte, die sich über längere Zeit entwickelt und einen Gewöhnungseffekt hervorgerufen haben, auseinander gerissen - gerade für ein Pflegeheim ein bedrückender Vorgang. Leider ist derartige Praxis nicht selten; ich betone: auch in ansonsten guten Heimen. Das dürfte so nicht geschehen.


Ein weiterer Schwachpunkt:

Das Pflegepersonal muß Aufgaben ausführen, die mit der echten Aufgabe der Pflege nichts zu tun haben. In erster Linie betrifft dies Küchen- und Servierdienste, die nun wirklich von anderem Personal vorgenommen werden könnten, um den Betreuern nicht Zeit für ihre eigentlich wichtigere Tätigkeit zu nehmen. All dies steht der Notwendigkeit der persönlichen Zuwendung entgegen. Aber es ist gang und gäbe, denn “Persönliche Zuwendung” ist im ganzen Pflegesystem nicht eingeplant.

Stattdessen passiert ein ständiger Wechsel des Personals wie in einem Verschiebebahnhof - und dazu eiin Einsatz oberflächlich ausgebildeter Hilfskräfte, Leiharbeiter, ebenfalls ständig wechselnd. Die sind mitunter sehr engagiert, einsatzfreudig und rücksichtsvoll gegenüber den Pflegebedürftigen, habe ich feststellen können.

Aber sie sind nur in flüchtigen Kursen ausgebildet mit Kenntnissen, die den des examinierten Stammpersonals mit jahrelanger Ausbildung in keiner Weise entsprechen können.

Der Berufsstand der Altenpflegerinnen und Altenpfleger verdient höchste Wertschätzung und gute Bezahlung, denn hier wird Fürsorge an pflegebedürftigen Menschen geleistet, und die Arbeit verlangt ständig konzentrierte Aufmerksamkeit und hilfsbereiten Einsatz.

Hier ein Vvergleich:
Ich erlaube mir, einen Vergleich anzustellen, der Sie verwundern wird, da die Dinge dem Anschein nach nichts miteinander gemeinsam haben. Wir kennen den Beruf der Fluglotsen und wissen, was für eine verantwortungsvolle Aufgabe sie haben.

Zigtausende von Flugreisenden und das Flugpersonal sind Tag für Tag darauf angewiesen, dass Fluglotsen in aller Welt ihre Arbeit korrekt, gewissenhaft und zuverlässig ausführen. Menschliches Versagen kann eine große Katastrophe herbeiführen. Fluglotsen werden gut bezahlt und können sogar, wegen der außergewöhnlichen Belastung, die ihnen der konzentriert notwendige Einsatz abfordert, mit 55 Jahren in Vorruhestand gehen.

Vielleicht halten Sie mich für einen Spinner, wenn ich die Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger im Pflegedienst in Bezug auf Verantwortung und Bedeutsamkeit mit denen der Fluglotsen in Verbindung bringe.

Aber ich verbinde das ganz bewusst. Es geht hierbei sogar nicht nur um eine Sicherheitsleistung, Flüge betreffend mit Start und Landung, sondern um eine dauerhafte und individuell zu erbringende Aufgabe ! Den Fluglotsen gegenüber sind die Pflegerinnen und Pfleger in einer skandalösen Situation. Hier wird schlecht bezahlt, ausgenutzt und auch noch - wegen der Kosten - an ausgebildetem, akkurat arbeitendem Personal gespart.

Der Vergleich mit den Fluglotsen hinkt dennoch ein wenig, und das buchstäblich. Denn zur verantwortungsvollen Arbeit der Altenpflegerinnen und Altenpfleger kommen erhebliche körperliche Erschwernisse hinzu, die die Fluglotsen nicht haben. Insgesamt ist die Arbeitsbelastung sogar höher, auch die Stresssituation. Die Beschäftigten haben erhebliche körperliche Arbeit zu leisten. Stets haben die Pflegerinnen und Pfleger anstrengende Tätigkeiten auszuüben. Das geht auf die Knochen, wie man so sagt. Gesundheitsprobleme sind die Folge. Hier wären Hilfskräfte angebracht zur Unterstützung der Pflegerinnen und Pfleger, nicht als Ersatz für sie.
Herrscht immer noch die Ansicht früherer Zeiten vor, die Betreuung Hilfsbedürftiger sei Menschenpflicht, verlange Selbstlosigkeit und geschehe gegen Gotteslohn ?

Gott darf bei der Motivation durchaus eine Rolle spielen - und sollte es auch -, doch in unserer Zeit sind Kranken- und Pflegedienste eine Leistungserbringung für die Gesellschaft; es sind Tätigkeiten, die wie alle anderen Arbeiten einer Vergütung bedürfen. Und zwar einer angemessenen Vergütung. Dass der Staat sich plötzlich vor die Notwendigkeit gestellt sieht, Mindestlöhne für Pflegepersonal einzuführen, spricht Bände !

Statt Entlastung werden den Beschäftigten wachsende Anforderungen auferlegt. Das bringt arbeitsbedingte Erkrankungen mit sich. Einerseits sind es Muskel- und Skelettschäden, andererseits auch psychische Leiden.

Mir liegt ein Zeitungsinterview mit Professor Dr. Thomas Weber vor. Er ist Chef der Präventiv- und Arbeitsmedizin am städtischen Krankenhaus HSK in Wiesbaden. (WK, 2. Februar 2009). Herr Professor Weber schildert Symptome und Ursachen, die durch Belastung des Personals entstehen:

Die Zunahme von Streß bei der Arbeit, unsicheres Führungsverhalten, fehlende Wertschätzung und Motivation sowie Sorge um den Arbeitsplatz können vermehrt psychische und körperliche Erkrankungen hervorrufen ! Neben den körperlichen Schädigungen sei sicher, sagt Professor Weber, dass der Anteil psychischer Erkrankungen an Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung deutlich zunimmt.

Er verweist auf eine Feststellung der DAK, die bei Arbeitenden eine 70-prozentige Erhöhung des Anteils psychischer Erkrankungen innerhalb von 10 Jahren ermittelt habe.

Es muß sich dringend etwa ändern, speziell was die mangelnde Wertschätzung des Pflegepersonals betrifft. Hier sind Entlastungen der Aufgaben notwendig und bessere Arbeitsbedingungen inklusive der Bezahlung.

Immer weniger werden gut ausgebildete, examinierte Pflegerinnen und Pfleger zur Verfügung stehen, und immer mehr werden sie durch angelernte, kaum kompetente Hilfskräfte ersetzt werden, gar in ständig wechselnden Leih- und Zeitarbeitsverhältnissen.


Schon beklagen Krankenhäuser, dass es nicht mehr einfach sei, ausreichend Pflegekräfte für die internistische und die operative Intensivstation zu finden. Das sei auf die außergewöhnliche psychische und physische Belastung der dort tätigen Krankenschwestern und -pfleger zurückzuführen. (WK, 13. Februar 2009).

Ein Zustand nur bei Intensivstationen ? Durchaus nicht ! Sehr schlechte Aussichten für unsere alternde Gesellschaft !

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