- Der Hausbesuch -
Der Gutachterbesuch sollte mindestens 45 Minuten dauern, heißt es in einer Information der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
Realistischer ist in einer Schrift des “Zukunftsforums Demenz” der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft zu lesen:
Der Gutachter sollte nach Möglichkeit in der begrenzten Zeit (meist zwischen 20 und 40 Minuten), die für die Begutachtung zur Verfügung steht, vor allem über den Zeitbedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens informiert werden.” (Dies bezieht sich auf die Führung des erwähnten Tagebuchs.)
Hurtig, hurtig wird beurteilt. Ich gehe sicherlich nicht fehl in der Annahme, dass der Gutachter bzw. die Gutachterin sich für den Besuch vorbereitet haben.
In den Richtlinien des MDS (D 3.2) heißt es: Die Angaben des Antragstellers und/oder seiner Bezugspersonen zum Hilfebedarf, die Vorgeschichte sowie Art und Ausmaß der Krankheit/Behinderung bestimmen den notwendigen Untesuchungsumfang.
Die Gutachter sind also vorinformiert. Beim Hausbesuch prüfen sie die Pflegebedürftigkeit anhand eines standardisierten Fragebogens (Formulargutachten). Dieser dient als Checkliste, um die notwendigen Hilfen für die Aktivitäten des täglichen Lebens zu beurteilen.
Der Gutachter hat also die Möglichkeit, nach seinen Erfahrungen den Fragebogen schon soweit vorzubereiten, dass er bei der Beurteilung des Antragstellers sich nur Punkt für Punkt fragen muß: Ist es so, wie ich es gedacht habe, oder muß ich etwas korrigieren. Dies kann sowohl nach der einen, als auch nach der anderen Seite sein.
Es kann wohl angenommen werden, dass er dieses Verfahren anwendet, denn bei den genannten 20 - 40 Minuten des Hausbesuchs hat er nicht viel Zeit. “Oma im Minutentakt” hieß es einmal in einer Fernsehdokumentation.
Sie merken, liebe Leserin, lieber Leser, dass ich mich eingehend mit den Gutachtern des MDK beschäftige. Ich bin misstrauisch, und das ist begründet, sowohl in persönlich gemachten Erfahrungen, als auch in den Berichten derer, die ich befragt habe.
Manchmal bedarf es eines auslösenden Faktors, um eine Reaktion herbeizuführen. In meinem Fall liegt dieser in dem Verhalten desjenigen begründet, der die erste Begutachtung meiner pflegebedürftigen Frau in unserer Wohnung vornahm.
Wie ich bereits anmerkte, hatte ich den Antrag erst sehr spät gestellt. Die Erkrankung meiner Frau war inzwischen schon fortgeschritten. Eine Ablehnung des Antrags zu konstatieren war dem Gutachter nach Lage der Dinge nicht möglich. Es ging also um die Schwere des Falles, und damit um die Einstufung.
Auf den Verlauf der Prüfung komme ich im Detail noch zurück. Hier will ich zunächst darauf eingehen, was mich stutzig gemacht hatte. Der Gutachter spulte seine Befragung ab nach Schema F (was in diesem Fall sogar stimmt durch den Begriff “Formulargutachten”).
Eingedenk der Aufforderung der Pflegekasse, den Gutachter bei seiner Prüfung zu unterstützen, um ihm eine verantwortungsvolle Entscheidung zu ermöglichen, hatte ich mit dem Antrag alle Unterlagen eingereicht, die den Krankheitszustand meiner Frau belegten
Als ich merkte, dass der Gutachter lediglich eine Befragung vornahm und den Vorgang in gewisser Weise nur abwickelte, machte ich ihn auf die vorgelegten Befunde aufmerksam. Die seien ihm bekannt, sagte er.
Ich wies darauf hin, dass nach eingehender Prüfung meiner Frau der Schwerbehinder-tengrad 100 zugeteilt worden war mit den Anmerkungen: Der schwerbehinderte Mensch bedarf ständiger Begleitung und Der schwerbehinderte Mensch ist hilflos (inklusive amtlicher Unterstreichung).
Auf diesen Hinweis erhielt ich die Antwort: “Der Nachweis der Schwerbehinderung ist für uns nicht maßgebend; wir prüfen selbst.”
Wie Sie sich vorstellen können, war ich darüber höchst verärgert und bin es heute noch. Was erdreistet sich dieser Mann, dachte ich. Und was fällt ihm eigentlich ein, seine Urteilsfähigkeit in einem Kurzbesuch höher einzuschätzen, als die der Ärzte und der Fachleute des Amtes für Versorgung und Soziales, das nach eingehender Prüfung den Grad der Behinderung mit 100 festgestellt und dazu die Begründung gegeben hatte :
Die Festsetzung des Gesamt-GdB (Grad der Behinderung) erfolgte nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SGB IX. Als Funktionsbeeinträchtigungen wurden die Ängste und ihre depressiven Verstimmungen in die Gesamtbetrachtung einbezogen sowie Osteoporose und Wirbelsäulensyndrom.
Dann hieß es noch ausdrücklich: Die weiteren von Ihnen geltend gemachten Gesundheitsstörungen wurden bei der Beurteilung mit berücksichtigt. Fazit: Das war eine gründliche Prüfung und vor allem eine medizinische !
Der hier erwähnte Gutachter firmierte als “Pflegefachkraft”. Nach dem bisher Ausgeführten stelle ich mir die Frage: Was treibt eine beruflich nur mäßig versierte “Fachkraft” dazu, die eigene Beurteilungsfähigkeit höher einzuschätzen als die von ausgebildeten und studierten Medizinern ?
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“Einfach zur besseren Pflegestufe” von Gerhard Thomas
Ich werde aufmerksam gemacht auf ein Buch “Einfach zur besseren Pflegestufe” von Gerhard Thomas. Das Buch ist informativ wie die anderen Veröffentlichungen zur Darstellung der Pflegeversicherung und ihrer Tücken.
Der Autor ist um Sachlichkeit bemüht; der Titel ist allerdings irreführend, denn nichts ist einfach für die Betroffenen bei der Pflegeversicherung, weder überhaupt als erheblich pflegebedürftig anerkannt zu werden, noch gar eine bessere Pflegestufe zu erhalten. Aber sei’s drum. Interessant sind die Ausführungen allemal, denn sie zeugen von Insiderwissen.
Der Autor verweist auf das Ziel der Gutachtertätigkeit. Die Prüfung sei vorgegeben durch das Sozialgesetzbuch XI.
Dort heißt es: Die Pflegeversicherung hat die Aufgabe, Pflegebedürftigen Hilfe zu leisten, die wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit auf solidarische Unterstützung angewiesen sind. (§ 1 Abs. 4).
Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen wiederzugewinnen oder zu erhalten. (§ 2 Abs. 1). (Bitte behalten Sie diese Grundaussagen im Gedächtnis !)
Sinngemäß würden sich die Gutachter verhalten, meint der Autor. Der Gutachter tritt nicht in feindlicher Mission auf, er spiele mit offenen Karten, sei zu strikter Objektivität verpflichtet, ließe dem Versicherten die Möglichkeit, frei zu erzählen. Wohlgemerkt: Dem Versicherten, dem Kranken.
Der aber kann nervös und aufgeregt sein, wird erwähnt, wolle es möglichst gut machen. Dies führe zu hektischen und nicht immer geordneten Gedanken und Äußerungen, aber das wisse der Gutachter zu berücksichtigen. Ich kann mir nicht verkneifen, etwas besonders zu zitieren, um dies für Sie mit einem Ausrufungszeichen zu versehen.
Die Gutachter seien sehr erfahren darin, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Während sie schreiben (Anmerkung von mir: den Fragenkatalog Punkt für Punkt abarbeiten), hören sie zu und sehen aus den Augenwinkeln, was sich zwischen Verwandten und Versicherten in Form von Zeichensprache so tut. Ganz egal, wie ein Gutachter die Befragung aufzieht, seien Sie sicher, er hört sehr genau zu. - Zitat-Ende und Ausrufungszeichen (!).
Soll einer sagen, der Autor wisse nicht, wovon er schreibt.