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- Notwendigkeiten -

Pflegenotstand ! - Wegen “Bildungsnotstand” streikten Mitte 2009 Studenten und Schüler. Etwa zur gleichen Zeit war die Rede vom “Notstand in den Kindertagesstätten”, und ziemlich lange dauerte ein Streik der Kindergärtnerinnen und Fürsorger. Gewerkschaften forderten für die Beschäftigten in städtischen Kitas und Sozialeinrichtungen neben besserer Bezahlung einen tariflichen Gesundheitsschutz und verbesserte Arbeitsbedingungen. Eltern ergänzten, dass sie sich die bestmögliche Förderung und Betreuung der Kinder in den städtischen Einrichtungen durch ausreichend qualifiziertes Fachpersonal wünschen.

Alles, was gefordert wurde, trifft auch zu für die Situation in den Pflegeheimen ! Und zwar sowohl für die Pflegebedürftigen, als auch für ihre Betreuer. Aber Altenpflegerinnen und Altenpfleger können nicht streiken. Es ist unmöglich, die ihnen anvertrauten Hilfebedürftigen unversorgt zu lassen. Das geht auch nicht mit einem Notdienst.

Die streikenden Studenten und Schüler ließen verlauten, sie verlangten ein “gerechteres Bildungssystem” und wollten erreichen, dass die Öffentlichkeit sich Gedanken macht über ihre Situation. Wer macht sich Gedanken über die Situation der Pflegebedürftigen und ein gerechteres Pflegesystem ?

Hier haben die Betroffenen keine Druckmöglichkeiten, um ihre Lage bekannt zu machen und ihre Interessen durchzusetzen. Gelegentlich melden sich Sozialverbände zu Wort. Politiker reagieren freundlich, in der Regel aber verlaufen alle Ansätze im Sande. Mal gibt es eine geringfügige Verbesserung, deren Wirkung verpufft, weil sie halbherzig ist. Doch sie wird als “Reform” verkauft. Es werden Versprechungen gemacht, aber mit der Einlösung hapert es.
Es ist bemerkenswert, wie sehr sich die Probleme zwischen Kindertagesstätten und Pflegeheimen gleichen. Ich habe vor mir eine Information der “Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen e.V.”. Beteiligt daran sind: Caritas, Diakonie, AWO, PARITÄT, Deutsches Rotes Kreuz, Landesverband der Jüdischen Gemeinden.

Das Blatt dieser vereinigten Sozialverbände enthält Forderungen für die Betreuung von Kindern durch Erzieherinnen und Erzieher. Ich gebe hier diese Forderungen wieder und forme sie in Klammern um für Pflegepersonal.

1.) Kinder (Pflegebedürftige) brauchen verlässliche Beziehungen - Bindungs- und Beziehungsfähigkeit wächst in kleinen Gruppen am besten. Nur in einem solchen Rahmen kann das einzelne Kind (der einzelne Pflegebedürftige) in den Blick genommen und gefördert werden.

2.) Für die Gespräche mit Eltern (mit Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen), für die Vor- und Nachbearbeitung der pädagogischen Arbeit (der pflegerischen Betreuung) ... und für Beobachtung und Dokumentation brauchen Erzieherinnen und Erzieher (Pflegerinnen und Pfleger) kinderfreie (pflegefreie) Zeiten. Diese Arbeit darf nicht von der Zeit mit Kindern (Pflegebedürftigen) abgezogen werden. (!)

3.) Zusätzliche Management-Aufgaben erfordern Zeitressourcen (...)

4.) Fortbildung - Für jede Kindertagesstätte (jedes Pflegeheim) ist eine kontinuierliche Qualifizierung der Fachkräfte notwendig. Auch längerfristige Qualifizierungsmaßnahmen müssen möglich sein, ohne dass der Betrieb der Einrichtung darunter leidet. Das geht nur mit einer ausreichenden Personalausstattung.

5.) Kindertageseinrichtungen (Pflegeheime) brauchen Fachberatung. Dies unterstützt die Kindertageseinrichtungen (Pflegeheime) u.a. bei der Kooperation mit Schulen (Ärzten, Kliniken, Gesundheitszentren) und sozialen Einrichtungen sowie bei der Qualitätsentwicklung. Allerdings kann der Ausbau dieses Fachberatungsnetzes nicht von den Kommunen oder den freien Trägern allein geleistet werden. Hier ist das Land Hessen (sind die Bundesländer) aufgefordert, die Finanzierung sicherzustellen.

Die Forderungen werden im Prospekt ergänzt mit den Details: Festlegung zusätzlicher Zeit für Vor- und Nachbereitung in Höhe von 20 % der für die Betreuung der Kinder (Pflegebedürftigen) vorgesehenen Fachkraftstunden - Zusätzliche Stunden in Höhe von 20 % für Vertretung z.B. Krankheit, Urlaub, Fortbildung - Zusätzliche Stunden für Leitungsaufgaben (zum Beispiel Anleitung, Einweisung, Aufgaben-festlegung für Hilfskräfte und Leiharbeiter durch das Stammpersonal) - Ausbau und Finanzierung der Fachberatung.

Soweit ein Katalog von Maßnahmen, die notwendig wären, aber in der Realität nicht gewährleistet sind. Das alles sind Aufgaben der Daseinsvorsorge des Staates !

Nicht erwähnt ist die Würde des Menschen, sowohl die der Kinder als auch die der Pflegebedürftigen und aller engagierten Betreuer. Nicht erwähnt ist aber auch der verlangte “tariflich geregelte Gesundheitsschutz” für die bei Kommunen angestellten Beschäftigten von Kindertagesstätten und Sozialeinrichtungen.  

Nach mehreren Monaten des Verhandelns und des Arbeitskampfes kam es zu einem Kompromiß. Es wurden nicht alle gewerkschaftlichen Forderungen erfüllt, doch gab es erhebliche Verbesserungen bei der Vergütung der Erzieherinnen und Erzieher und einen besseren Gesundheitsschutz. Von derartigen Errungenschaften können Altenpflegerinnen und Altenpfleger nur träumen.

Wer kämpft für sie ? Wer vertritt ihre Interessen ?

Die Techniker-Krankenkasse meldet: Jeden Tag fehlen wegen Rückenschmerzen 93 000 Beschäftigte in Deutschland an ihrem Arbeitsplatz. Dies sei die häufigste Ursache von Krankschreibungen. Allerdings meint diese Krankenkasse:

Die meisten Rückenbeschwerden gehen auf einen ungesunden Lebensstil zurück. (WK, 15. August 2009). Diese Einschätzung kann nur verwundern. Gerade in den Pflegeberufen muß erheblicher körperlicher Einsatz geleistet werden, gerade hier sind Schäden an der Muskulatur und am Rückgrat mit Band-scheibenschäden arbeitsspezifisch.

In der TV-Sendung “plusminus” (28. Juli 2009) berichtete der “Pflegeassistent” eines ambulanten Pflegedienstes, dass er für seine stark belastende Arbeit bei der Versorgung von Schwerstkranken mit gerade mal “vier Euro und ein paar Zerquetschte netto” pro Stunde entlohnt wird. Das ist weniger als ausgehandelte Mindestlöhne !

Der Pflegedienst, bei dem der Pflegeassistent tätig ist, schiebt die Verantwortung ab. Die Kostendrücker seien die Sozialämter und die Kranken- und Pflegekassen. Sie legen die Pflegesätze fest und suchen sich den billigsten Anbieter. Das führt zu erheblichen Konkurrenzkämpfen.

Das Feilschen um Pflegedienstleistungen ist würdelos, für die Pflegenden im harten Einsatz ebenso wie für die Schwerstkranken, die die aufopferungsvolle körperliche und unterstützende Hilfe Tag für Tag bitter nötig haben !

Die Caritas erhebt Protest:
Immer mehr Pflegekräfte sind psychisch und körperlich am Ende ihrer Kräfte. Der Krankenstand liegt deutlich höher als in anderen Berufen. Wenn eine Mitarbeiterin bis zu 15 Bewohner in den Altenheimen gleichzeitig betreuen soll, darunter immer mehr Menschen mit einem sehr hohen Pflegebedarf, ist die Grenze dessen, was alten Menschen und Pflegekräften zugemutet werden kann, eindeutig überschritten. Wenn die Pflegeberufe keine höhere gesellschaftliche Anerkennung erfahren, ist die Gefahr groß, dass die Altersheime in Zukunft keine motivierten und qualifizierten Mitarbeiter mehr finden werden. (Caritas-Flyer “Aktionstag Altenhilfe, Juli 2009).

Hier ist der Pflegenotstand klar beschrieben, und zwar wie er jetzt schon herrscht. Und deutlich ist gesagt, was Not tut ! 
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