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- Haftung -

Plötzlich können beim Pflegeheimaufenthalt noch ganz unerwartete Kostenprobleme auftreten. Hier ein Beispiel aus eigener Erfahrung.

Meine Frau trug eine Zahnspange. Die Notwendigkeit, sie abends aus dem Mund zu nehmen, im Reinigungsglas aufzubewahren und sie morgens - notwendigerweise mit Haftcreme - wieder einzusetzen, wurde in fürsorglicher und rücksichtsvoller Weise vom Pflegepersonal vorgenommen.

Doch plötzlich war die Zahnspange weg. Niemand wusste, wie sie abhanden gekommen war. Ich sorgte für eine Verlustmeldung und bat, die Versicherung zu informieren, denn natürlich brauchte meine Frau eine neue Zahnspange. Die Antwort der Heimorganisation hatte mich verblüfft:

Die Versicherung hat uns ... leider mitgeteilt, dass keine Regulierung erfolgen kann, da kein Verschulden/Fehlverhalten der Einrichtung erkennbar ist.

Das machte mich stutzig, und mein Argwohn hat sich inzwischen verdichtet, so dass ich das Problem “Versicherung” eingehend behandeln will.

Die Stellungnahme der Heimorganisation veranlasste mich zu einer “großen Anfrage”, die ich hier ausführlich wiedergebe, da sie eine Situation betrifft, die jederzeit für jeden Pflegebedürftigen in einem Heim eintreten kann:

Es stellt sich die Frage, was in der Heimsituation “Verschulden/Fehlverhalten” sei ? Die Unterbringung schließt die Betreuung der pflegebedürftigen Personen ein. Das muß all das beinhalten, was die Betreuten für ihre persönliche Lebenshaltung benötigen. Vornehmlich handelt es sich dabei um notwendigen Zahnersatz. Im vorliegenden Fall betrifft es “nur” eine Zahnspange; es könnte sich aber auch um ein vollständiges Gebiß handeln, dessen Wert sich im vierstelligen Euro-Bereich bewegen kann. Für einen Verlust die teilweise Demenz- oder Alzheimer-Kranken selbst verantwortlich zu machen, bedeutet, die übernommene Pflegeverpflichtung  zu ignorieren.

In der Alltags-Tätigkeit der Pflegekräfte, die mit der Betreuung der sehr unterschiedlich Kranken weitgehend belastet sind, ein “Verschulden/Fehlverhalten” für Verlust notwendiger persönlicher Gebrauchsgegenstände der Betreuten im einzelnen “erkennbar” werden zu lassen, ist unmöglich.

Wie weit ist das Pflegepersonal versichert gegen “Verschulden/Fehlverhalten”, welches nicht vorsätzlich geschieht, sondern sich aus der täglichen Arbeit der Betreuung Pflegebedürftiger ergibt, zumal es sich nicht um Routinetätigkeiten, sondern um ständig wechselnde Aufgaben handelt und auch um spontan auftretende Noteinsätze, die Ablenkung verursachen können ?

Wie ist ein “Verschulden/Fehlverhalten” “erkennbar” (z.B. beim Verlust von Zahnersatz) ? Wenn ggf. eine Küchenhilfe einräumt, eine Zahnspange, die lose war und von der Kranken beim Essen abgelegt wurde, könnte mit dem Geschirr abgeräumt und mit zerknüllten Servietten in den Mülleimer geworfen worden sein -  ist das die “Erkennbarkeit” eines Fehlverhaltens ?

Grundsätzlich: Wie steht es um die Haftung für eingebrachtes Gut der Heimbewohner,  welches sie für ihre Lebenshaltung benötigen ? Wie steht es um Haftpflichtversicherung, Hausratversicherung, Diebstahlsversicherung, Versicherung für das Abhandenkommen von Sachen ?


Zunächst erhielt ich keine Antwort. Die mußte ich erst anmahnen. Sie kam sechs Monate später mit der Anmerkung, ich hätte ein ”sicherlich sehr komplexes Thema” angesprochen. Hier gebe ich sie wieder:

Die Grundlage für Schadensersatzansprüche ist in § 823 BGB begründet, in dem es heißt: “Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich  verletzt, ist dem anderen zu Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet”.
Der Gesetzgeber hat also den Ersatz eines verursachten Schadens auf die Tatsache begrenzt, dass dieser Schaden vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt werden muss. Gleichzeitig ist damit natürlich auch verbunden, das es den “Schädiger” greifbar gibt.
Die Rechtssprechung erklärt die Voraussetzungen des Vorsatzes und  der Fahrlässigkeit, indem es sagt: der Verursacher hätte den möglicherweise eintretenden Schaden erwarten (voraussehen) können und der Schädiger muss außerdem schuldhaft gehandelt haben.

Jede Haftpflichtversicherung, ob Betriebshaftpflicht, Privathaftpflicht, Berufshaftpflicht hat das als Grundlage für ihre Versicherungspflicht. Gleichzeitig bedeutet aber die Tatsache, dass ein Verschulden nicht vorliegt auch, dass kein Ersatz geleistet werden muss. Eine Versicherung, die den guten Willen abdecken würde, zu erstatten, auch wenn es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, wäre unbezahlbar, da jeder Verlust egal welcher Art bezahlt werden müsste.
 Sicherlich nicht immer nachvollziehbar, aber die einzige Voraussetzung, dass Ersatzansprüche nicht in das Uferlose gesteigert werden.


Was ist daraus zu schließen ? Es gibt ein großes Schwarzes Loch in Sachen Versicherungen ! Das betrifft möglicherweise nicht nur die Bewohner, sondern auch das Pflegepersonal. Es ist ja nicht auszuschließen, dass während der verantwortungsvollen Arbeit und der besonderen Bean-spruchung bei auftretenden Notsituationen auch mal überstürzt und dabei unbedachtsam gehandelt werden könnte. Es entspräche etwa Umständen, wie sie auch für Polizisten im Einsatz möglich wären. Wie ist die Versicherungslage in den Pflegeheimen für Bewohner und Personal ?

Es gibt ein Heimgesetz, das verbindlich regelt, wie ein Heim zu führen ist. Für Kontrolle und Beratung existiert dazu eine “Heimaufsicht”. Aber im ganzen Heimgesetz mit 27 Paragraphen ist kein Wort zu lesen über das Thema Versicherungen. Im mir vorliegenden Heimvertrag finden sich unter dem Stichwort “Haftung” nur zwei lapidare Anmerkungen:

1.    Bewohner und Einrichtung haften einander für Sachschäden im Rahmen dieses Vertrages nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Im übrigen bleibt es dem Bewohner überlassen, eine Sachversicherung abzuschließen.
2.    Für Personenschäden wird im Rahmen allgemeiner Bestimmungen gehaftet. Das gilt auch für sonstige Schäden.


Alles unklar und auslegungsfrei. Übrigens gibt es gar nicht die Sachversicherung. Das wäre nur ein Oberbegriff für unterschiedliche Absicherungen im Detail. Und vom Verlust lebenswichtiger Dinge der Pflegebedürftigen im Heim ist überhaupt nichts gesagt. Es kann sich ja um sehr notwendige Hilfsmittel handeln, beispielsweise neben Zahnprothesen um teure Hörgeräte, Brillen mit kostspieligen Spezialgläsern, Kontaktlinsen oder dergleichen, bis hin zu Haarteilen und Perücken, die zur Lebensqualität gehören können. Läßt sich das alles nicht versichern im Sinne meiner Anfrage an die Heimorganisation ? Sollen tatsächlich Demenz- und Alzheimerkranke selbst für Verlust verantwortlich sein ?

Das wäre ein unhaltbarer Zustand !


Muß man damit rechnen ? Wenn Sie eine pflegebedürftige Person zu betreuen haben, gilt es, diesem Problem Aufmerksamkeit zu schenken. Für sämtliche Versicherungen, die den Pflegebedürftigen betreffen oder in die er einbezogen ist, müssen Sie die jeweiligen Versicherungsunternehmen von der Heimadresse Ihres Angehörigen verständigen. Lassen Sie sich informieren, in wie weit Absicherungen möglich sind, vielleicht im Rahmen der Hausratversicherung.
Ich kann Sie nur darauf hinweisen, dass in Angelegenheit Versicherung und Haftpflicht ein Dilemma herrscht. Sollte ein schwerwiegender Schadensfall eintreten, stehen Ihnen möglicherweise erhebliche kostenintensive Rechtsstreitigkeiten bevor mit unsicherem Ausgang. Da wird auch eine Heimaufsicht passen müssen, denn es steht ja darüber nichts im Gesetz.

Der Verlust der Zahnspange meiner Frau verursachte mir unvorhergesehene Ausgaben. Zum Glück war es “nur” eine Zahnspange, kein sehr teures Gebiß. Die Kosten beliefen sich für mich auf 120 €, aber hinzu kamen noch die Zuzahlungen für mehrere Krankentransporte zur Behandlung bei der Zahnärztin und die Praxisgebühren. Ich wies ja schon darauf hin: Die Dinge summieren sich.

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