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- Rente - ein Pflegefall -

Gute Renten "würden" auch in Pflegefällen entlasten. In aller Regel ist ein Pflegebedürftiger ein Rentenempfänger. So ergänzen sich Rente und Pflege. Aber die Renten sind ein Pflegefall für sich.

In unserem Staat und speziell in unserem Sozialwesen gibt es finanziell viele Töpfe. In die meisten müssen die Bürger zwangsweise einzahlen. Nach den Vorstellungen des Staates sollen immer die Einnahmen die Ausgaben decken. Wenn das nicht der Fall ist, werden die Beiträge erhöht und die Leistungen abgebaut. Das ganze Sozialwesen besteht aus Einzelteilen. Jeder Finanztopf soll für sich die Waage halten zwischen Einnahmen und Ausgaben. “Umlage-finanzierung” nennt sich das. Aber dieses System funktioniert nur in wirtschaftlich guten Zeiten. Der Krug - in diesem Falle der Topf - geht solange zu Wasser, bis er bricht. Jede Krise bringt das System ins Wanken. Inzwischen ist es marode. Doch die Politik will dies nicht wahrhaben.

Auch das Rentensystem unterliegt dem “Umlageverfahren”. Dazu heißt es im Sozialgesetzbuch VI § 153: In der Rentenversicherung werden die Ausgaben eines Kalenderjahres durch die Einnahmen des gleichen Kalenderjahres und, soweit erforderlich, durch Entnahmen aus der Nachhaltigkeitsrücklage gedeckt. Dieser “Nachhaltigkeitsrücklage” werden die Überschüsse der Einnahmen über die Ausgaben zugeführt. (SGB VI § 216). In diesem Paragraphen ist noch etwas bemerkenswertes gesagt: Überschreitet die ... Nachhaltigkeitsrücklage über einen längeren Zeitraum diesen Umfang (nämlich 50 vom Hundert der durchschnittlichen Ausgaben für einen Kalendermonat - § 216 Abs. 2), ist sie insoweit von den Trägern der allgemeinen Rentenversicherung zu verwalten.

Schlussfolgerung für die Rentner: In wirtschaftlich guten Zeiten - und davon hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland etliche - muß die “Nachhaltigkeitsrücklage” (Nachhaltigkeit heißt: auf längere Zeit anhaltende Wirkung) ganz erheblich angewachsen sein.

Da ist also viel Geld im Topf. Bei jedem privaten Versicherungsunternehmen würde das, das im Rahmen einer Lebensversicherung über die jahrzehntelang eingezahlten Beiträge erwirtschaftet worden ist, an die Versicherten ausgezahlt werden. Nicht so beim Staat. Hier genügt zur Begleichung der Ausgaben eine Nachhaltigkeitsrücklage von 50 vom Hundert der durchschnittlichen Ausgaben für einen Kalendermonat.

Was geschieht mit dem übrigen angesammelten Geld ?

Ein Topf voller Geld verlockt jeden Politiker mit seinen Begehrlichkeiten, es auszugeben. Immer wieder seit den guten Zeiten haben die verschiedensten Regierungen aus dem gefüllten Topf der Rentenversicherung Gelder entnommen für angebliche Wohltaten, genannt “Konjunkturprogramme”.

Am meisten geschröpft aber wurde die Rentenversicherung nach der Wiedervereinigung, um die Ostrenten an die Westrenten anzugleichen. Fast ausschließlich mussten die Beitragszahler West mit ihren Rücklagen die Anpassung der Ostrenten finanzieren.

Ein klarer Verstoß gegen das Versicherungsprinzip. Nicht, dass den Rentnern im Osten die Angleichung hätte versagt werden müssen, nein, aber alle Zahlungen in diesem Zusammenhang hätten mit hineingehört in die Kosten der Wiedervereinigung, vom Staat zu übernehmen, nicht aus dem Topf der Sozialversicherung. Das System der “Umlagefinanzierung”, das ohnehin schon kränkelte, wurde damit ad absurdum geführt.

Da wird gefaselt von einem “Generationenvertrag” bei der Rente. Die Arbeitenden sollen mit ihren Beiträgen die Gelder aufbringen, die denen zugute kommen, die Rente beziehen. Zunächst: Diesen oft zitierten “Generationenvertrag” gibt es nicht. Er ist ein Hirngespinst, eine Leerformel der Politik. Die klammert sich fest daran und nennt das Trugbild “Umlagefinanzierung”.

Der nicht existierende “Generationenvertrag” hat merkwürdigerweise gesellschaftlich eine sehr negative Auswirkung: Er führt zu einem Generationenkonflikt. Was sich dabei inzwischen entwickelt hat, grenzt schon an Verunglimpfung der Rentner. Und es zeigt sich hierbei, wie beschränkt (an Wissen) Politiker, aber auch Journalisten sein können.

Bild-Schlagzeile vom 11. März 2008: Die Alten beuten die Jungen aus ! Finanzminister Peer Steinbrück am 10. Juli 2009: Der jetzigen Rentner-Generation geht es so gut wie niemals einer zuvor. Die Gekniffenen sind die 25- bis 35-Jährigen, die Kinder in die Welt setzen wollen.

Glatte Unwahrheiten ! Bösartige Verdrehungen ! In der Rentnergeneration zu Zeiten des Finanzministers Steinbrück gab es so viele arme Rentner wie niemals zuvor.

Mit merkwürdigen Statistiken versuchte die Bild-Zeitung (11. Juli 2009) Steinbrücks unqualifizierte Behauptung zu unterstützen:

Ein Rentner-Ehepaar hat im Schnitt 2350 Euro Netto/Monat.
“Im Schnitt”, das hieße 50 % darüber und 50 % darunter. Allein die staatliche Rente kann das kaum betreffen, für die gab es immer die Beitragsbemessungsgrenze, die über-dimensionierte Renten nicht ermöglichte. Die seltsame Statistik kann nur Manager- und Politiker-Pensionen enthalten.

Ein Beispiel dazu: Ex-Minister Norbert Blüm - der, dessen Rente sicher ist - erhält laut Bild am Sonntag vom 29. April 2007 eine Pension von rund 9.000 Euro. So gesehen, wird ein “Schnitt von 2350 Euro Netto/Monat” verständlich. Das bedeutet jedoch eine vollständige Missachtung jener Rentner, die trotz eines langen Arbeitslebens heute an der Armutsgrenze und sogar erheblich darunter ihr Leben fristen müssen.

Aber wann werden es Statistiker endlich sein lassen, Angaben “im Durchschnitt” zu machen ? (Welcher Unsinn dabei entsteht, zeigt die Feststellung des Statistischen Bundesamtes, dass - gemessen an 2008 - jede Frau im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 1,38 Kinder bekäme.) (WK, 5. September 2009).

Bei den bezüglich der Rentnersituation genannten zweifelhaften Zahlen ergibt sich ein erschreckendes Bild unterhalb des Durchschnitts. Wenn 2350 Euro = 50 % sind, dann haben diejenigen in der Skala bei 10 % 470 Euro, und das ist zu wenig für die Alltagsexistenz eines Ehepaares, zumal es nicht einmal für die Miete mit den Nebenkosten reichen kann. Das ist die Rente gemessen am Durchschnitt. Und es ist buchstäblich ein Armutszeugnis.

Kurze Zeit nach der Diffamierung der Rentner durch Finanzminister Steinbrück gab es eine gänzlich andere Darstellung der Rentenverschlechterung für die zukünftigen Rentner, und zwar vom Statistischen Bundesamt: In Deutschland haben immer mehr junge Frauen keine Kinder.

Wegen der gravierenden Veränderungen in der Altersstruktur sei es wichtig, sagte Präsident Roderich Egeler, ein klares Bild über die Entwicklung demografischer Faktoren zu gewinnen. (WK, 30. Juli 2009). Demnach, und gemessen an dem Fantasiegebilde “Generationenvertrag”, wären die künftigen Rentner selbst schuld am Niedergang des Rentensystems. Doch die Hauptursache liegt in der Gesetzgebung.

Rente und Pflege gehören zusammen. Reicht die Rente eines Pflegebedürftigen nicht aus, muß das Geld von anderer Seite kommen. In diesem Punkt werden die Alten dann allerdings wirklich zu einer finanziellen Belastung für die Jungen. Für die Kosten eines Pflegefalles werden die Angehörigen zur Kasse gefordert. Und die sind möglicherweise arbeitslos. Wenn sie nicht zahlen können oder wenn die Rente nicht hoch genug ist, muß das Sozialamt beispringen. Aber das springt nicht. Dessen Zahlung muß erkämpft werden; es tun sich bürokratische Hürden auf.

Die Politik stellt einen großen Geldverschiebebahnhof zwischen den Töpfen des Sozialwesens her. Und aus jedem Topf wird nicht ausgezahlt, was notwendig wäre, sondern da wird “gedeckelt”. Alt und Jung sind gleichermaßen benachteiligt von einem System, das sie zu den Betroffenen macht.

Dass bei der Rente die Alten die Jungen “ausbeuten”, ist eine niederträchtige Entstellung der Tatsachen. Die Alten, deren Renten ja sicher sein sollten, sind mit erheblichen Kürzungen belastet worden, sowohl bei den Steuern, als auch bei den Sozialabgaben - die Beiträge zur Pflegeversicherung müssen sie sogar zu 100 % selbst zahlen. Und wenn die Renten der Jüngeren künftig geringer werden - und zwar stetig -, so sind nicht die Rentner daran schuld. Es ist der “Gesetzgeber”. Wer aber ist der Gesetzgeber ?

Es sind die Politiker in den Regierungen dieser Tage. Es sind diejenigen, die ihrer eigenen Generation die künftige Rente beschneiden. Es sind die Politiker, die davon ausgehen können, dass ihre eigenen Pensionen so sicher sind wie die von Herrn Blüm.

Nach dem “Alterssicherungsbericht 2008” der Bundesregierung (November 2008) bekommt ein Ex-Minister achtmal soviel wie ein Arbeitnehmer, ein Beamten-Pensionär und ein Abgeordneter rund dreimal soviel wie ein Rentner. (Bild-Zeitung, 13. November 2008).

Von dieser sicheren Warte aus lässt sich natürlich sehr gut behaupten: “Der Rentnergeneration geht es so gut wie niemals einer zuvor” (Peer Steinbrück). Doch als Folge der jetzigen Politik lässt sich durchaus anderes sagen: “So gut (?) wie der jetzigen Rentnergeneration wird es künftigen Rentnern nicht mehr gehen.”

Bild-Zeitung vom 14. April 2009: Hartz IV-Empfänger verlieren am meisten Rente. Das “Deutsche Institut für Altersvorsorge” hat festgestellt, dass die Rentenversicherung für Langzeitarbeitslose gerade mal knapp 500 Euro pro Jahr (also 12 Monate !) an Beiträgen erhält. (WK, 4. Februar 2009).

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, forderte auf einem “Deutschen Seniorentag”, Mitte 2009, eine “armutsvermeidende Politik” und machte darauf aufmerksam, dass schon jetzt bei über 700.000 Senioren die Rente nicht zum Leben reicht. Sie seien auf Hilfe vom Staat angewiesen und müssten mit 351 Euro Grundsicherung im Monat auskommen. In Zukunft drohe noch viel mehr Menschen die Altersarmut. Frau Mascher betonte, dass eine “armutsfeste Rente” gesichert sein müsse. (VdK-Zeitung, Juli/August 2009).

351 Euro Grundsicherung ? Gesichert wird nichts damit; nicht einmal das Doppelte würde reichen. Das betrifft Rentner ebenso wie Arbeitslose. Altersarmut und Kinderarmut sind Zustände, die es nicht geben darf. Sie sind eine Schande für unsere Gesellschaft.

Ich versuche mal eine Gegenüberstellung zweier finanzieller Faktoren, und man wird mir möglicherweise vorwerfen, ich würde Äpfel mit Birnen vergleichen. So ist es aber nicht. Es geht um die individuelle Existenz eines Menschen in unserer Gesellschaft.

Einerseits hält der Staat eine “Grundsicherung” von 351 Euro im Monat für ausreichend, andererseits belastet die Grundsicherung für einen Pflegebedürftigen im Heim diesen und seine Angehörigen unter Umständen mit 1500 Euro im Monat und mehr. Da ist jeder Vergleich unmöglich. Es ist ein Skandal, sowohl nach der einen, als auch nach der anderen Seite.

Wir Alten wollten nach Krieg und Nachkriegszeit, dass unsere Kinder es besser haben. Das Schicksal, das uns hart angepackt hatte, war uns für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gnädig und ist es immer noch. Glücklicherweise.

Unsere Großeltern, unsere Eltern hatten durch den Krieg alles verloren. Ihre Renten mussten wir Jüngere sichern, ohne dass wir darüber geklagt hatten. Die Generation der heutigen Rentner hat nicht nur dafür gesorgt, dass eine Rentenversicherung ebenso wiederaufgebaut werden konnte wie die zerstörten Städte und die Wirtschaft, sondern hat Kindern und Enkel auch ein demokratisches Dasein beschert.

Rein arbeitsmäßig hatten die meisten der heutigen Rentner jahrzehntelang eine 48-Stunden-Arbeitswoche und meist nur 14 Tage Urlaub. Wer heute eine Behauptung aufstellt, dass in Sachen Rente die Alten die Jungen ausbeuten, handelt zutiefst unredlich und sollte sich schämen.

“Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Dieser Grundsatz darf nicht missachtet oder gar infrage gestellt werden. Und eine Leistung des Staates zur Rentnerarmut in Höhe von 351 Euro pro Monat als “Grundsicherung” zu bezeichnen, ist blanker Hohn. Es sind Brosamen, die die gutgestellten Politiker von den Tischen fallen lassen. Und dann wird noch geklagt, es sei zu viel.

Wir werden heute älter als Generationen vor uns. Das scheint für Politiker eine Katastrophe zu sein. Allein schon wegen der Rentenzahlungen. Aber mit der steigenden Lebenserwartung wachsen auch Erkrankungen im Alter und Pflegebedürftigkeit. Noch eine Katastrophe !

Nach der Leistung, die die heutige Rentnergeneration für dieses Deutschland erbracht hat, haben die Alten alle Ehre verdient. Für die, die pflegebedürftig werden oder es schon sind, muß ein Pflegeheim ein Ehrenheim sein. Hochachtung gebietet ihnen, nicht Pflegenotstand !

“Notleidende Banken” erhielten großzügige Unterstützung durch die Regierung und von der Deutschen Notenbank. Es ist mehr als zweifelhaft, ob sie jemals zurückzahlen, was sie von den Steuerzahlern bekommen haben. Sie handelten sich schon massive Kritik ein, weil sie die alte katastrophale Vorgehensweise erneut betrieben und für jene Manager, die für die Verluste verantwortlich waren, weiter hohe Gehälter sowie üppige Boni-Vergütungen zahlten. Das Missmanagement setzt sich fort. Die Worte “Aufsichtsrat” und “Aufsichtsbehörde” haben Sinn und Bedeutung verloren.

Es wurden auch sehr merkwürdige Verträge geschlossen, die Risiken in sich bargen, aber von Bundes- und Landesseite Bürgschaften, Sicherheitsgarantien, erhielten. Und zu den “notleidenden Banken” gehörten in erheblichem Maß die Landesbanken. Da stimmte so vieles nicht. Und es stimmt noch immer nicht !

Nicht einmal ansatzweise hat unser Staat das notleidende Sozialwesen unterstützt. Die Armut der Menschen findet keine Beachtung. Der Papst meldete sich zu Wort in der Wirtschaftskrise mit einer Sozialenzyklika. Benedikt XVI. verlangt ein Wirtschaften, das sich an ethischen Zielen und dem Gemeinwohl der Menschen ausrichtet. Er fordert auch mehr Respekt vor der Menschenwürde und meint, die Krise müsse als Chance genutzt werden, um bei der fortschreitenden Globalisierung eine Zukunft in Gerechtigkeit und Solidarität zu schaffen.

Mahnungen gibt es viele. Die Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI. ist nicht die erste päpstliche “Kapitalismuskritik”. Die übten schon seine Vorgänger. (WK, 8. Juli 2009). Eine Besserung hat sich bisher nicht ergeben, stattdessen eine Banken- und Wirtschaftskrise.


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