- Qualität der Pflegeheime -
Es gibt ein Heimgesetz seit 1975. Abermals kann ich nicht umhin, dröge Gesetzestexte zu zitieren zu Ihrer Information. Ich tue es aber, um zu verdeutlichen, wie sehr auf dem Gebiet der Pflegebetreuung Gesetzestexte und Realitäten auseinander klaffen.
Ich verschone Sie mit vielen Eigentümlichkeiten dieses Heimgesetzes und will nur ein paar Punkte herausheben.
Zweck des Gesetzes ist
1. ... die Würde sowie die Interessen der Bewohne-rinnen und Bewohner von Heimen vor Beeinträchtigungen zu schützen. -
Erhebt sich die Frage: Was sind “Beeinträchtigungen” ?
3. ... die Einhaltung der dem Träger des Heims ... gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten zu sichern. 5. ... eine dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse entsprechende Qualität des Wohnens
und der Betreuung zu sichern. - Erhebt sich die Frage: Was ist der “allgemein anerkannte Stand der fachlichen Erkenntnisse” ?
Das Heimgesetz ist 2006 geändert und ergänzt worden. Zwei Jahre danach wurde im Rahmen eines “Pflegeweiterentwicklungsgesetzes ein neuer § 115 Abs.1a zum Sozialgesetzbuch XI eingeführt. Dazu wurde (2008 !) angemerkt, dass es “derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren (Übersetzung von mir: “verlässliche Merkmale“) der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung in Deutschland gibt”. Aha ! Und festzustellen ist, dass es diese Erkenntnisse noch immer nicht gibt.
Dennoch steht schon im Heimgesetz unter “Anforderungen an den Betrieb eines Heimes” (§ 11 Abs. 1 - Hervorhebungen durch mich), ein Heim dürfe nur betrieben werden, wenn der Träger und die Leitung
2. ... die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner wahren und fördern, insbesondere bei behinderten Menschen die sozialpädagogische Betreuung und heilpädagogische Förderung sowie bei Pflegebedürftigen eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde gewährleisten. -
3. ...eine angemessene Qualität der Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner ... in dem Heim selbst oder in angemessener anderer Weise einschließlich der Pflege nach dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse sowie die ärztliche und gesundheitliche Betreuung sichern.
Für meine weiteren Ausführungen will ich die Punkte 7 und 8 des § 11 Abs. 1 noch hervorheben. Das Heim müsse 7. ...sicherstellen, dass für pflege-bedürftige Bewohnerinnen und Bewohner Pflegeplanungen aufgestellt und deren Umsetzungen aufgezeichnet werden. - 8. .. .gewährleisten, dass in Einrichtungen der Behindertenhilfe für die Bewohnerinnen und Bewohner Förder- und Hilfepläne aufgestellt und deren Umsetzung aufgezeichnet werden.
Ferner heißt es noch in § 11 Abs. 2: Ein Heim darf nur betrieben werden, wenn der Träger ... 2. ... sicherstellt, dass die Zahl der Beschäftigten und ihre persönliche und fachliche Eignung für die von ihnen zu leistende Tätigkeit ausreicht.
Allein nur für diese zitierten Punkte erlaube ich mir anzumerken, dass in keinem Pflegeheim - in keinem ! - die hier zugrunde gelegten Kriterien 100%ig erfüllt werden, ja gar nicht erfüllt werden können !
Wo findet die “sozialpädagogische Betreuung” statt, wo die “heilpädagogische Förderung”, wo die “humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde”, wo die “medizinisch-pflegerische” und die “ärztliche und gesundheitliche Betreuung” ? Wo reicht die “Zahl der Beschäftigten und ihre persönliche und fachliche Eignung für die von ihnen zu leistende Tätigkeit” aus ?
Selbst wenn “persönliche und fachliche Eignung” vorhanden ist, bleibt sie bei der körperlichen und seelischen Belastung des Pflegepersonals sowie beim andauernden Leistungsdruck und den ständigen Stress-situationen auf der Strecke, ganz abgesehen davon, dass die “Zahl der Beschäftigten” - hier der ausgebildeten, examinierten Altenpflegerinnen und Altenpfleger - zu klein ist.
Das (Heim-) Entgelt sowie die Entgeltbestandteile müssen im Verhältnis zu den Leistungen angemessen sein. Heißt dies, das Heimentgelt kann bei schlechteren Leistungen geringer sein ?
Im Heimgesetz ist eine “Überwachung” (§ 15) vorgesehen: Die Heime werden von den zuständigen Behörden durch wiederkehrende oder anlassbezogene Prüfungen überwacht. Die Prüfungen können jederzeit angemeldet oder unangemeldet erfolgen.
Gemäß Punkt 2 sind die von der zuständigen Behörde mit der Überwachung des Heims beauftragten Personen befugt, Einsicht in die Aufzeichnungen nach § 13 des Auskunftpflichtigen im jeweiligen Heim zu nehmen. Im § 13 ist unter etlichem anderen, die Situation des Heims betreffend, gesagt, für die Prüfung müssen ersichtlich sein 6. die Pflegeplanungen und die Pflegeverläufe für pflegebedürftige Bewohnerinnen und Bewohner, und 7. bei Einrichtungen der Behinderten Förder- und Hilfepläne einschließlich deren Umsetzung.
Also: Es kann geprüft werden. Es gibt dazu eine “Bewertungssystematik der Qualitätsprüfungen”, die die “Medizinischen Dienste der Krankenversicherung” durchzuführen haben. Ein Mitarbeiter des MDK muß sich für seinen Prüfbericht durch eine lange Fragenliste kämpfen. Er befragt Heimleitung, Mitarbeiter, Pflegebedürftige, darunter Demenzkranke, und hat 82 Fragen mit Schulnoten zwischen “Sehr gut” und “mangelhaft” zu bewerten. In dieser “Bewertungssystematik” kann eine sehr gute Note eine sehr mangelhafte ausgleichen und somit zu einem “befriedigend” im Urteil führen.
Der Geschäftsführer des MDK Rheinland-Pfalz, Gundo Zieres, hat die Absurdität plastisch ausgedrückt: Stellen Sie sich vor, Sie halten eine Hand auf eine kochend heiße Herdplatte und gleichzeitig die andere Hand in eine Extrem-Kühltruhe. Obwohl Sie ohne Zweifel beide Hände verlieren werden, spricht man mathematisch im Mittelwert von einer angenehmen Körpertemperatur. Nach dem gleichen Verfahren funktioniert die neue Bewertungssystematik. (TV-Sendung “Report-Mainz”, 9. Februar 2009).
Die 82 Fragen dienen angeblich der Qualitätsprüfung in den Heimen. Aber zum Beispiel wird nicht gefragt nach Balkons, Terrassen, Gartenanlagen - Dinge, die zur Lebensqualität gehören. Vergessen ?
Die Fragerei ist teilweise grotesk, in wesentlichen Fällen sogar bedenklich. Etliche der Fragen beziehen sich darauf, wie gut die Zusammenarbeit des Heims mit den Ärzten ist. Dies lässt sich kaum mit “ausreichend”, wohl eher mit “mangelhaft” bezeichnen. Und das liegt nicht an den Heimen, und im Grunde auch nicht an den Ärzten, sondern an ihrer Situation, die ihnen weder Zeit für die sorgfältige Betreuung ihrer Patienten in den Heimen lässt, noch angemessen vergütet wird.
Der Arzt soll auch die Durchführung der behandlungspflegerischen Maßnahmen dokumentieren, ob sie nach seinen Anweisungen fachgerecht ausgeführt werden. Wie kann er das, wenn sein Erscheinen - wenn überhaupt - nur in Stippvisiten erfolgt ?
Pflegedokumentation, Pflegeplanung, Förder- und Hilfepläne, Aufzeichnungen der Pflegeverläufe - eine Wust von Materialsammlungen ! Über die sorgfältige Führung einer Pflegedokumentation ist in den 82 Fragen der “Bewertungssystematik” sehr viel die Rede. Darüber hinaus werden “Pflegeplanung” und “Informationssammlungen” angesprochen.
Mal ernsthaft gefragt:
Wer soll denn diese umfangreichen Dokumentationen ausführen ? Das Pflegepersonal ? Handelt es sich bei diesem Personal um Dokumentaristen oder um Pfleger, die Behinderte und Kranke zu betreuen haben ? Wenn all das, was kontrolliert werden soll, als “Pflegedokumentation” vorzuliegen hat, müssen die Heime Sekretariate mit fachkundlich ausgebildeten Bürokräften einrichten. Eindeutig darf die Last dieser Dokumentationen - und das für jeden einzelnen Betreuten ! - nicht den Pflegerinnen und Pflegern auferlegt werden ! Das konterkariert den Sinn einer Pflegeeinrichtung.
Immer und überall wird die ausufernde Bürokratie beklagt. Hier kann sie sogar gefährlich werden, weil die Schreibarbeiten, die auch “sorgfältig” sein sollen, das Personal von seiner eigentlichen Aufgabe, der fürsorglichen Betreuung ihrer Pflegebedürftigen, nicht nur abhält, sondern sie auch gedanklich ablenkt.
Nur ein Beispiel sei angeführt. Es betrifft das Problem des sogenannten Dekubitus, das ist das Wundliegen Bettlägeriger, die sich nicht selbst bewegen können, sondern - vorwiegend von zwei Pflegepersonen - in regelmäßigen Abständen im Bett gedreht und gewendet werden müssen.
Dazu heißt es in der “Bewertungs-systematik”: Ein bestehendes Dekubitusrisiko ist ggf. mit Hilfe einer Skala (z.B. Braden-Skala, Medley-Skala) zur Ermittlung des Dekubitusrisiko zu erkennen und einzuschätzen. Die Einschätzung des Dekubitusrisikos muss aktuell sein.
Schlussfolgerung von mir dazu: Die Pflegerinnen und Pfleger müssen ärztliche Kenntnisse besitzen, und darüber hinaus ausgebildete Krankenpfleger, Orthopäden, Physiotherapeuten sein.
Denn die Frage wird gestellt:
Werden erforderliche (Dekubitus-) Prophylaxen durchgeführt ? Die Frage ist mit ‚Ja’ zu beantworten, wenn bei dekubitusgefährdeten Bewohnern individuell angemessene Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe wie z.B.
- haut- und gewebeschonende Lagerung und Transfertechniken
- Maßnahmen zur Bewegungsförderung
- ausreichende Flüssigkeits- und Eiweißzufuhr
- fachgerechte Hautpflege / regelmäßige Hautinspektion
- ggf. Beratung der Bewohner bzw. ihrer Angehörigen hinsichtlich der Risiken und Maßnahmen in der Pflegeplanung berücksichtigt und die Durchführung erkennbar ist.
Interessant ist auch die Anmerkung bezüglich Dekubitus und chronischer Wunden, das Pflegeheim solle Nachweis führen, ggf. den Arzt darüber informiert zu haben, dass die Behandlung nicht dem aktuellen Stand des Wissens entspricht und der Arzt seine Anordnung nicht angepasst hat. Das Heim und sein Personal als Lehrmeister für die Ärzte - eigentlich müsste es ja umgekehrt sein !
Liege ich so falsch, wenn ich meine, das examinierte, gut ausgebildete Pflegepersonal müsse einen Status und eine Vergütung haben wie die Fluglotsen ? Stattdessen Hilfskräfte und Mindestlöhne !
Ich will es mit diesen Zitierungen aus der “Bewertungssystematik” genug sein lassen. Unglaublicherweise gibt es noch zahlreiche dieser hanebüchenen Forderungen, die realistisch gar nicht zu erfüllen sind.
Zwei Fragen aber möchte ich noch als wichtig hervorheben. Die erste (33):
Wird die Pflege im Regelfall von denselben Pflegekräften durchgeführt ? Die Frage ist mit ‚Ja’ zu beantworten, wenn der Bewohner während des Dienstes (Frühdienst, Spätdienst, Nachtdienst) von einem überschaubaren Pflegeteam über einen längeren Zeitraum (mehrere Tage) versorgt wird. So richtig die Frage ist, so wird sie durch die Einschränkung, dass es sich bei dem “längeren Zeitraum” nur um “mehrere Tage” handeln soll, überflüssig.
Die zweite Frage (73): Nehmen sich die Pflegenden ausreichend Zeit für Sie ? wird wohl in aller Regel mit “Nein” zu beantworten sein, nicht aus Nachlässigkeit der Pflegenden, sondern schlicht und einfach aus Arbeitsüberlastung und Zeitdruck.
In ihrem Buch “Pflegebedürftig ... und trotzdem gut betreut” gibt Andrea Miske interessante Einblicke in den Berufsalltag der Pflegeheime. Die Autorin ist Diplom-Biologin und Krankenschwester. Die Anliegen pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen kennt sie aus pflegerischer Praxis in ambulanten und stationären Einrichtungen der Altenhilfe. Aus ihren interessanten und bemerkenswerten Schilderungen, Analysen und Stellungnahmen will ich nur mal eben ein Beispiel aufgreifen, das die “Pflegedokumentation” und den Patientenbesuch eines Arztes behandelt.
Fiktiv schildert die Autorin, dass sich ein Arzt darüber beklagt, dass die letzte Eintragung für seine Patientin im Pflegebericht drei Wochen alt sei. Außerdem seien die wenigen aufgeführten Diagnosen alt und ungenau.
Wie kommt das ?
Die Autorin weiß aus eigener Erfahrung, dass die Informationsweitergabe zwischen den Pflegekräften nicht richtig funktioniert, weil gerade in der heutigen Zeit mit vielen Teilzeitbeschäftigten, die ständig wechseln, und mit Hilfskräften, die nicht oder nur oberflächlich in Pflege ausgebildet sind und die vielleicht die deutsche Sprache nur bedingt beherrschen, eine sorgfältige Pflegedokumentation nicht zu führen ist. So erweist es sich als Schwierigkeit, dass das verantwortliche Stammpersonal immer ausreichend informiert ist.
Es kann keine Frage sein, dass Kontrolle nötig ist. Doch auch dabei müssen sich in erster Linie die Angehörigen der Heimbewohner engagieren. Hier heißt es mitunter, Missstände festzustellen und für Abhilfe zu sorgen.
Ein Beispiel:
Das Personal arbeitet seinen Zeitplan ab. Die Kranken hingegen, speziell die Demenzkranken, haben kein Zeitgefühl mehr: “Was denn, schon wieder essen ?” Im dem Heim, in dem meine Frau war, gab es dabei keine Probleme; das Personal war immer bemüht, die Betreuten zum essen zu animieren und auch aktiv zu unterstützen.
Ich habe aber von einem Heim erfahren, in dem den Pflegebedürftigen schon nach 5 Minuten der volle Teller wieder weggenommen wird mit dem Vorwurf: “Sie haben ja schon wieder nichts gegessen.” - Ein derartiges Verhalten im Heim können nur aufmerksame Angehörige feststellen.
Auch hier die Mahnung: Sie müssen kontrollieren und ggf. kämpfen !
Wegen der zunehmenden Kritik in Veröffentlichungen und den Medien über katastrophale Zustände in schlecht geführten Heimen will der Bund die Qualität der Pflegeheime verbessern. Dazu machen sich das Bundesgesundheits-ministerium und das Bundesministerium für Verbraucherschutz gemeinsam stark.
Mit den Prüfungen in den Heimen betraut sind die MDK’s. Die benötigen dazu fachkundiges Personal. Dieses wird, wie sich zeigt, von den Pflegeheimen abgeworben. Mit Erfolg natürlich, denn eine Prüftätigkeit ist wesentlich stressfreier als eine Tätigkeit als Altenpflegerin oder Altenpfleger in einem Pflegeheim, dazu besser bezahlt. Die unausgegorene Prüfmanie führt zu einer wesentlichen Verschlechterung in der Situation der Pflegeheime, da erfahrenes Fachpersonal abwandert und nicht ersetzt werden kann, weil die gut ausgebildeten Kräfte fehlen. So ergibt sich der paradoxe Umstand, dass die Kontrollen, die angeblich die Qualität verbessern sollen, genau das Gegenteil bewirken.
Sollte alles erfüllt werden können, was im abstrusen Fragenkatalog aufgelistet ist, müsste jedes Pflegeheim ein Großklinikum sein mit Fachärzten und medizinisch ausgebildetem Personal in allen möglichen Richtungen. Qualität soll den Pflegebedürftigen sicher sein. Sehr gut. Aber diejenigen, die die Qualitätsmerkmale aufstellen und anscheinend genau wissen, was in der Pflege notwendig ist, sollen dann auch dafür sorgen, dass die Qualität in der Praxis auch geleistet werden kann. Und dies bedeutet eine grundsätzlich bessere Finanzierung und im Gesundheitswesen eine ganz andere Basis für Pflegeheime.