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- MDK - ein Problem -

Haben Sie Erfahrungen mit Versicherungen ? Umworben werden Sie mit vielen Versprechungen. Sie zahlen fleißig die Beiträge. Aber wenn bei Ihnen ein Versicherungsfall eintritt, kann es kompliziert werden. Immer wieder erfährt man aus Presse, Funk, Fernsehen oder aus dem Bekanntenkreis von Schwierigkeiten mit Versicherungen bei der Regulierung von Anrechten.

Es handelt sich in den kritisierten Fällen vornehmlich um Angelegenheiten in Schadens- und Rechtssituationen bei Ansprüchen und Entschädigungen.

Vor Gericht gilt der Grundsatz: “Im Zweifel für den Angeklagten”. In manchen Versicherungsfällen sind Sie nicht einmal Angeklagter, doch die Versicherung hat Zweifel an Ihrer Glaubwürdigkeit. Wollen Sie sich etwa die Versicherungssumme erschleichen ? Wollen Sie die Versicherung betrügen ?

Die hat ja ihre Erfahrungen, und Betrug kommt immer wieder vor. Also wird zunächst einmal jeder misstrauisch angesehen, der Ansprüche erhebt. Es ergibt sich eine Pauschalverdächtigung.

Seien Sie sich im klaren: Ähnlich ist es bei der Pflegeversicherung. Mindestens
muß der oder die Erkrankte “erheblich pflegebedürftig” sein. Ist das der Antragsteller ? Es wäre die Grundvoraussetzung, dass überhaupt ein Anspruch entstehen kann. Das muß natürlich geprüft werden. Und hier produziert die Versicherung Fallstricke.

Die legen die Prüfer des MDK aus. Sie berufen sich naturgemäß auf Gesetz und Richtlinien. Doch die Interpretierung ist ihnen überlassen.

Dabei ist alles sehr einfach - schildert Ihnen die Pflegekasse in den Broschüren.

Es wird ein Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bei einem rechtzeitig angemeldeten Besuch den Umfang der Pflegebedürftigkeit und die entsprechende Pflegestufe ermitteln. Dabei ist er auf Ihre Mithilfe angewiesen. Er benötigt Angaben über alle Hilfestellungen und Pflegeleistungen, die am Tage und in der Nacht erbracht werden. ...

Die Aufzeichnungen werden dem Gutachter eine wertvolle Unter-stützung sein. Gleichzeitig haben Sie die Sicherheit, dass nichts vergessen wird.


Zu diesem Berufe erhalten Sie von der Pflegekasse ein “Pflegetagebuch”, in das Sie eine Woche lang akribisch eintragen sollen, welche Pflegeleistungen Sie Tag für Tag in Minuten erbracht haben.

Doch dazu lässt Ihnen der Pflegealltag gar keine Zeit, und an der notwendigen Konzentration für die Ausfüllung der 29 Punkte des Tagebuchs pro Tag fehlt es sowieso.

Der Antrag bei der Pflegeversicherung erfordert Mühe, in die Materie einzudringen. Es wird erwartet, dass Sie die wenigen Verschnaufpausen, die Sie haben, mit Registrierung Ihres Zeitaufwands in Minuten bei der Hilfe morgens, mittags, abends, nachts verbringen. Und dazu benötigen Sie erst einmal das Studium des mitgelieferten Blattes “Ergänzende Erläuterung zur Feststellung des regelmäßigen Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung”.

Achtung ! Es kommt auf die Minuten an !


Die sind letztlich ausschlaggebend. Aber das wird Ihnen nicht mitgeteilt ! Es ist, wie wenn Sie Ihre Steuererklärung machen wollen. Eine Sekretärin brauchten Sie, die Ihre Pflegetätigkeit mit der Stoppuhr begleitet.

Die Aufzeichnungen werden dem Gutachter eine wertvolle Unterstützung sein ?

Mitnichten. Die Realität sieht anders aus.
Ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen
habe ich für dieses Buch umfangreiche Recherchen durchgeführt. Das Ergebnis ist in fast allen Fällen das gleiche: Antrag abgelehnt. Einem 89-jährigen, nach einem Schlaganfall erheblich Pflegebedürftigen, der von seiner etwas jüngeren und auch nicht ganz gesunden Ehefrau fürsorglich betreut wurde, fehlten nach Beurteilung des Gutachters 10 Minuten an “Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege”. Antrag auf Leistungen aus der Pflegekasse abgelehnt !

Wer noch nie etwas mit dem Problem “Pflegeleistungen” zu tun hatte, wird verwundert den Kopf schütteln. Doch die Minuten des täglichen Hilfebedarfs sind die Knackpunkte.

Und in der Beurteilung ist der Gutachter buchstäblich ein Machthaber, dem Ihr Pflegefall ausgeliefert ist.

Im ganzen System stecken eine Vielzahl von Ungereimtheiten. Im Gesetz zur “Sozialen Pflegeversicherung” (Sozialgesetzbuch XI) heißt es eindeutig, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung die Pflegebedürftigkeit durch eine Untersuchung des Antragstellers festzustellen hat. In allen mir bekannt gewordenen Fällen hat niemals eine Untersuchung stattgefunden, schon gar nicht eine medizinische !

Im Gesetz heißt es (SGB XI § 18 Abs. 7): Die Aufgaben des Medizinischen Dienstes werden durch Ärzte in enger Zusammenarbeit mit Pflegefach-kräften und anderen geeigneten Fachkräften wahrgenommen.

Zur Begutachtung, die keine Untersuchung im medizinischen Sinne ist, werden den Antragstellern nach aller Erfahrung “Pflegefachkräfte” oder die genannten “anderen geeigneten Fachkräfte” ins Haus geschickt. Hier steht etwas im Gesetz, das schwammig ist, undefiniert.

Laut Duden ist eine “Fachkraft” jemand, der innerhalb seines Berufs, seines Fachgebiets über die entsprechenden Kenntnisse, Fähigkeiten verfügt. Das ist ebenso schwammig, wie die juristische Darstellung im Sozialgesetz, aber mehr gibt der Begriff auch nicht her. Jedenfalls ist eine “Fachkraft” kein “Fachmann” oder eine “Fachfrau”.

“Pflegefachkraft” im hier benutzten Sinne ist keine Berufsbezeichnung, die durch Lehre und Ausbildung erworben werden muß; sie ist in diesem Zusammenhang nur eine Tätigkeitsbezeichnung. Allerdings ist “Pflegefachkraft” sogar gesetzlich definiert im Sozialgesetzbuch XI. Aber nur für den Fall, wenn eine Person beruflich tätig ist in ambulanten oder stationären Einrichtungen; dies sind Pflegedienste bzw. Pflegeheime.

Für eine Anerkennung (!) bedarf es erheblicher Voraussetzungen. Es ist dazu neben dem Abschluß einer Ausbildung als Krankenschwester oder Krankenpfleger oder als Altenpflegerin oder Altenpfleger nach Landesrecht eine praktische Berufserfahrung in dem erlernten Beruf von zwei Jahren innerhalb der letzten fünf Jahre erforderlich. (SGB XI § 71, Abs. 3).

Was für Anforderungen ! Wohl kaum können Personen, die vom MDK als Gutachter oder gar als “andere Fachkräfte” eingesetzt werden, diese Voraussetzungen vorweisen. Diesen “Pflegekräften” fehlt die Anerkennung ! Und damit sind sie im wahren Sinne des Wortes “disqualifiziert”.

Wenn wenigstens von “qualifizierten Fachleuten” die Rede wäre. Nein, davon steht im Zusammenhang mit der Gutachtertauglichkeit weder etwas im Gesetz, noch in den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen. Und von ausreichend “medizinischer” Qualifikation wird überhaupt nichts erwähnt.

Von einer Internationalen Familienbildungsstätte der Arbeiterwohlfahrt wird bei Migrantinnen dafür geworben, als “Pflegehelferinnen” tätig zu werden. Es wird ein Kursus angeboten. Dieser umfaßt 140 Stunden in Theorie und Praxis und beinhaltet auch 60 Stunden fachbezogenen Deutschunterricht. (WK, 27. Februar 2008).

Es handelt sich also nach Adam Riese um 80 Stunden Ausbildung in “Theorie und Praxis”. Das sind gerade mal ca. zwei Wochen. Damit sind die Teilnehmerinnen “Pflegehelferinnen” und gewissermaßen “Pflegefachkräfte”.

Der eigentliche Beruf heißt “Altenpflegerin”. Vergleichen Sie bitte: Die Ausbildung dazu dauert drei Jahre ! Die Schulung umfaßt mindestens 4.600 Stunden. Davon entfallen mindestens 2.500 Stunden auf den theoretischen und praktischen Unterricht in der Schule und mindestens 2.100 Stunden auf die berufspraktische Ausbildung in zugelassenen Ausbildungsstätten.

Nach erfolgreich abgelegter Prüfung gibt es zum Abschluß ein Zeugnis vom zuständigen Regierungspräsidium und die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung “Altenpflegerin” bzw. “Altenpfleger”.

Und nun frage ich: Hat eine “Pflegefachkraft” oder gar eine “andere Fachkraft”, die vom MDK für die Gutachtertätigkeit eingesetzt werden, die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung ?

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