Ein Auszug aus einem Chinesischen Buch von 2005
Texte, Schreibmaschinenseiten und Bilder aufgearbeitet von Gert Redlich im Dezember 2015.
In den Unterlagen des Nachlasses fand ich auch Fotokopien zur Übergabe (oder Vorlage) zum 100. Bestehen des Lessing Gymnasiums in Berlin.
Es ist ein Buch in chinesischer Sprache, von einem Gaststudenten Dr. Ing. Weiyi Zhu aus China geschrieben und von einem Chinesen der Software AG Dr. Ing. Zhiwang Fan aus Heidelberg in blütenreines Hochdeutsch übersetzt. Alles in allem ist das für mich sehr verblüffend und absolut bewundernswert. Wer jemals versucht hat, chinesisch oder japanisch zu erlernen oder eine andere fernöstliche Sprache, der weiß um die Mühen.
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Das Thema des Buches :
"Tracing German Soldiers of WWII" oder auf Deutsch:
Auf der Suche nach den Soldaten vom 2. Weltkrieg.
Es gibt auch eine ISBN Nummer, aber selbst google findet da nichts.
Der erzählende Helmut Kratzsch schreibt auf einem Zettelchen:
17.7.1987 - Lieber Günter,
diesem in einem chinesischen Taschenbuch erschienenen Bericht würde ich der für die Schule bestimmten "Kriegsdienst-Akte" beilegen, wenn die Schulkameraden es befürworten. Wie weit ist Dein Vorwort gediehen ?
Herzliche Grüße - Dein Helmut
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Die sogenannte "Cover Seite"
Peking 2005
Autor : Dr. Ing. Weiyi Zhu
Z. Zt. Geschäftsführer der Rhine LMG Aufzug GmbH in Beijing, China
Übersetzung: Dr.-Ing. Zhiwang Fan
Z.Zt. Mitarbeiter der Soware AG, Heidelberg
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Inhaltsverzeichnis des gesamten Buches
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- Kapitel 1 Warum der Krieg Seite 1
Traum vom Wiederaufstieg Deutschlands Pflicht — keine andere Wahl Verteidigung des Vaterlandes - Kapitel 2 Blutbad in Russland Seite 35
Ein Soldat in der „Großdeutschen Division"
Ewige Schmerzen
Von einem kleinen Kompaniefiihrer bis zum großen Geschäftsführer
Albtraum in Leningrad - Kapitel 3 Die vom Krieg hinterlassene Geschichte Seite 89
„Meisterwerk" von einer verlorenen Armee
Begleitung vom Gott des Glücks
Ein Pilot mit Höhenangst
Mitteilung vom Kriegstod
Vom Zeichnen der Nazisymbole bis zum Malen von Stalin - Kapitel 4 Politische Gardisten — Schutzstaffel Seite 139
Wir sind eine „multistaatliche Truppe"
Damaliger Stolz
SS - eine ungern erzählte Geschichte - Kapitel 5 Kindersoldaten Seite 188 -203
Letzte Hoffnung
Untergang der „Babydivision"
Professor war damals Schülersoldat
Aufwachsen im Krieg - Kapitel 6 Deutsche Frauen im Krieg Seite 215
Soldatin Angela
Alles für die Kriegsfront
Ehefrau im Heimatland
Opfer des Krieges - Frauen - Kapitel 7 Stadt in Brand Seite 249
Feuer vom Himmel
Erinnerung eines Jugendlichen im Heimatland - Kapitel 8 „Landesverratende'4 Helden Seite 271
Familie eines Generals Held oder Landesverräter? - Kapitel 9 Die Sieger Seite 295
Heimlicher Befehl zur Brandstiftung
Vom Massaker in Katyn bis zur ethnischen Säuberung
Soldat, Frau, Klavier, Armbanduhr - Kapitel 10 Tradition und Neugeburt Seite 329
Unterschiedliche „Sichten der deutschen Armee"
Ausstellung des Verbrechens der Wehrmacht
Die vom „Nullpunkt" angefangenen Jahren - Schlussbemerkung Seite 366
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Kapitel 5 Kindersoldaten Seite 188
"Der Professor war damals Schülersoldat"
Viele deutsche Soldaten waren im Kriegsgefangenlager noch Jugendliche, wie auch z. B. Herr Professor Helmut Kratzsch. Als er noch nicht einmal 16 Jahre war, musste er seine Schule abbrechen und bei der Luftverteidigung Dienst tun.
Mit 17 Jahren wurde er Kriegsgefangener und als er das Gefangenlager verließ, war er nicht ganz 19 Jahre alt. Unter den ehemaligen deutschen Soldaten, die ich interviewte, ist Professor Kratzsch die vertrauteste Person, was dieses Interview auch zum tiefliegendsten macht.
Dr. Ing. Weiyi Zhu schreibt :
Ich lernte ihn 1992 kennen . . .
Als ich 1992 meinen Doktortitel erhalten hatte, kam ich überhaupt nicht auf die Idee, dass mein Doktorvater, also Herr Professor Kratzsch, einmal nach 10 Jahren eine der Personen sein würde, die ich unter der Rubrik „Kindersoldaten im 2. Weltkrieg" interviewen werde. Darüber hinaus war der Interviewort auch genau dort, wo ich vor 10 Jahren meine Doktorarbeit mündlich verteidigte, nämlich im 10. Stock des Bergbau- und Hüttenwesengebäudes an der Technischen Universität Berlin. Damals stellte er mir Fragen bei meiner mündlichen Prüfung, heute stelle ich ihm Fragen für das Interview.
Sein Name war damals in China schon bekannt
In dem Fachgebiet Bergschadenkunde ist Professor Kratzsch schon lange ein international bekannter Spitzengelehrter. Als ich noch in China mein Masterstudium machte, war sein Name in China schon bekannt. Damals in China wurden die Akademiker, die schon selbständig die Werke von Professor Kratzsch in Deutsch und übersetzt in Russisch und Englisch lesen konnten, als besonders intelligent betrachtet, weil sich dadurch hohe Sprach- und Fachkenntnisse bei einem Fachexperten widerspiegeln werden können.
1988 kam ich nach Westberlin
Für das Aufbrechen 1988 nach Westberlin, um ihn als Betreuer meiner Doktorarbeit zu wählen, hatte ich zwei Gründe: wegen des Rufes von Professor Kratzsch in dem Fachgebiet und auch wegen des Rufes der Stadt Berlin in ihrer besonderen politischen Situation.
Die damalige Stadt Berlin war eine außergewöhnliche Stadt: die Stadt gehörte zwei total unterschiedlichen Welten an; es gab zwei verschiedene Währungen; es gab Armeen aus fünf verschiedenen Ländern (Amerika, England, Frankreich, Sowjetunion und DDR).
Eine große Mauer aus Zement teilte die große Stadt in zwei Hälften ein, nämlich in Ost- und Westberlin, wobei Westberlin so isoliert war, als sei es eine einsame Insel auf dem Ozean. Der „Eisener Vorhang" im kalten Krieg und der Konflikt zwischen den großen Systemen wurden hier auf direkte und anschaulichste Weise dargestellt.
Ich brauchte vier Jahre für meinen Doktortitel
In Berlin brauchte ich vier Jahre, bis ich meinen Doktortitel erhielt. Währenddessen hatte ich eine sehr gute Freundschaft mit Professor Kratzsch geschlossen. In meinem Buch „Studieren in Deutschland" habe ich in einigen Kapiteln beschrieben, wie er sich um die chinesischen Studenten kümmert und sie fortbildet.
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Zwei Erlebnisse - eine Idee
Auf die Idee, Herrn Professor Kratzsch zu interviewen, kam ich durch zwei Erlebnisse:
Nach der Wiedervereinigung Berlins im Jahre 1990 brachte Professor Kratzsch eines Tages eine Packung von Lebensmitteln mit und verteilte sie an die jüngeren Kollegen im Institut. Damals war ich ein Raucher, deswegen habe ich und der damalige Doktorand Herr Zhiwang Fan in demselben Institut je zwei Packungen Tabak bekommen.
Der Professor war nie ein Raucher gewesen, aber warum hatte er Tabak zu Hause liegen? Die Antwort ist, dass diese Lebensmittel zur Vorsorge für den Kriegsfall dienten.
Der 2. Weltkrieg und der kalte Krieges prägen . . .
Während des 2. Weltkrieges und des kalten Krieges hatten die alten Berliner viel Not erlitten, besonders die Westberliner. Im Jahre 1948 hatte die Sowjetunion den Verkehr nach Westberlin zu Land und Wasser für 11 Monate lang blockiert. Dies hatte zur Folge, dass die Westberliner von allen Lebensmitteln und notwendigen Sachen abgeschnitten waren. Die Rettung in dieser Notlage waren die Rosinenbomber und die Schaffung der Luftbrücke.
Der Schrecken saß in den damaligen Westberlinern tief. Sie hatten Angst vor der Hungersnot und sie befürchteten, dass der kalte Krieg eines Tages zu einem richtigen Krieg ausbrechen und Berlin zu dem ersten Opfer zählen könnte. Deswegen hatten die Leute die Angewohnheit, Lebensmittel und die wichtigsten Sachen für einen eventuellen Krieg aufzubewahren.
Professor Kratzsch ist eine sehr warmherzige Person. Er rauchte zwar nicht, hatte trotzdem Tabak aufbewahrt, damit er in Kriegszeiten Rauchern helfen kann.
Die Neugierde wuchs . . .
Damals wuchs in mir die Neugierde. Die jungen Deutschen, die ich kenne, hatten nicht diese Angewohnheit gehabt, Sachen für eine eventuelle Kriegszeit aufzuwahren. Aber die älteren Deutschen, die den Krieg miterlebt hatten, schon. Was dachten sie sich dabei?
Als ich schließlich eines Tages einen Aufsatz von Herrn Professor Kratzsch las, entdeckte ich auf der letzten Seite eine kurze Biographie von ihm.
Darauf stand:
4.9.1927 geboren in Berlin
.....
7.1943 - 4.1945 Teilnahme an der nationalen Verteidigung
4.1945 - 6.1946 Gefangenschaft in amerikanischen Gefangenenlagern
Er war erst 15 - er war ein Kindersoldat
Ich merkte mir, als Professor Kratzsch zum Militär einberufen wurde, war er 15 Jahre und 9 Monate alt, d.h. er war damals ein Kindersoldat!
Dies ist auch der Grund, warum ich auf ihn kam, als ich nach ehemaligen Kindersoldaten im 2. Weltkrieg suchte.
Aus Höflichkeit schrieb ich einen Brief an Professor Kratzsch, der jetzt pensioniert ist. Er rief mich sofort an und war einverstanden für ein Interview mit mir. Ich fragte: „Könnten Sie noch einige alte Fotos von damals mitbringen?" Professor Kratzsch sagte: „Das brauchen Sie? ... OK."
Unser Treffen im 10. Stock der TU Berlin
Unser Treffen war genau dort, wo wir gemeinsam gearbeitet hatten, also im 10. Stock des Gebäudes für Bergbau und Hüttenwesen der TU Berlin. Die Universität hatte dem Professor ein Arbeitszimmer überlassen, obwohl er aus dem Dienst schon verabschiedet war. Dort unterhielten wir uns zwei mal und jedes mal hatte es einen ganzen Vormittag gedauert.
Professor Kratzsch begann das Gespräch einzigartig:
„Beim ersten Weltkrieg hatte Deutschland keine alleinige Verantwortungsschuld. Der Erste Weltkrieg war eher ein Interessen- und Machtkampf zwischen europäischen Ländern. Der Zweite Weltkrieg war eindeutig eine Aggression von Deutschland."
- Anmerkung : Wir schreiben 2015 und so langsam ändert sich weltweit diese lancierte Ansicht. Es gab viele viele Hinweise auf eine eklatante Mitschuld der Siegermächte des 1. Weltkrieges - siehe Morgentau - "Perl Harbor und seine Ursachen". Mehr finden Sie hier.
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Im Juli 1943 zogen wir in den Krieg
Er sagte: „ Nach der Schlacht von Stalingrad herrschte ab Januar 1943 an der Kriegsfront ein Mangel an Soldaten. Die inländischen Luftabwehrsoldaten wurden massenhaft ins sowjetische Kriegsfeld geschickt. Die üblichgebliebenen Stellen an den die feindlichen Flugzeuge abwehrenden Kanonen (Flak) mussten somit von Schülern besetzt werden.
Im Juli 1943 wurde unser ganzer Jahrgang, d.h. alle Schüler, die in 1927 geboren waren, zur Luftwaffen-Flak eingezogen. Wir wurden in die Flakstellung Schwante nördlich von Berlin geschickt, die dann im September zum S-Bahnhof Tegel verlegt wurde. Damals waren wir um die 16 Jahre alt.
Offiziell waren wir keine richtige Soldaten, sondern nur Gehilfen. Zu dieser Zeit wurden ca. 100.000 solcher Gehilfen einberufen. Auf unseren Uniformen war außer dem in der Luftwaffe üblichen schwarzen Adlersymbol noch das Zeichen „LH" aufgetragen. „LH" war die Abkürzung für „Luftwaffenhelfer". Heimlich bezeichneten wir „LH" als „Letzte Hoffnung". Wir bekamen das Versprechen von einer Kriegsteilnahme nur in unserer Heimatstadt."
Unsere Flakabteilung 516
„Unsere Flakabteilung 516 hatte vier Batterien. In jeder Batterie gab es vier Flakgeschütze mit einem Kaliber von 10,5 cm. Dies waren damals die modernsten Geschütze. Das Ansetzen des Geschosses und das Richten des Geschützes waren halbautomatisch elektrisch gesteuert. Zu dieser Zeit gab es außerdem ein Flakgeschütz mit einem Kaliber von 8 cm, dessen Handhabung recht anstrengend war. Das Laden und Richten geschah ohne Motor von Hand. Aber so ein Geschütz war flexibel und wurde auch flach eingestellt zur Bekämpfung von feindlichen Panzern eingesetzt.
Feldgeschütze waren anders
Die Flakgeschütze glichen nicht den Feldgeschützen. Die Wurfbewegung des Feldgeschützes verläuft parabelförmig und das Geschoss explodiert bei der Landung. Im Gegensatz dazu besitzt das Geschoss des Flakgeschützes eine Zeituhr und explodiert in der Luft. Die Bestimmung des Explosionspunktes wurde von einem optischen Richtgerät (Kommandogerät) durchgeführt. Das Gerät war 3 Meter lang. Nach dem Prinzip des Vorwärtseinschnittes im Vermessungswesen wurde die Entfernung und Position einer feindlichen Maschine festgestellt.
6 Man bedienten das Richtgerät
In jeder Batterie gab es ein Richtgerät, das von 6 Leuten bedient wurde. Die Arbeit wurde so verteilt, dass die körperlich etwas schwächeren Schüler dieses Gerät und die körperlich etwas stärkeren die Kanonen bedienten."
Erklärungen wie in den Vorlesungen
Die Art, wie Professor Kratzsch eine Sache beschreibt, erinnerte mich an das charakteristische Merkmal, als er uns Vorlesungen hielt; langsam und verständlich zum Schwerpunkt voranschreitend.
„Die Bedienung des Flakgeschützes ähnelt sehr der Handhabung eines Theodolits in der Vermessung. Man kann durch Drehung den Geschützkörper horizontal bewegen als auch das Kanonenrohr vertikal hoch einstellen. Der Unterschied ist nur, dass in der Vermessung nach dem Anzielen ein Winkel gemessen werden soll, wohingegen bei Bedienung des Flakgeschützes nach dem Anzielen sofort „Feuer" gegeben werden muss.
8 Man am FLAK-Geschütz
An unserem Geschütz arbeiteten 8 Personen, darunter 2 alte Soldaten, wovon der eine Geschützführer war und der andere für das Laden der Kanone zuständig war. Unter uns 3 Schülern war einer für die horizontale Drehung, der andere für die vertikale Drehung und der letzte für die Einstellung der Zeituhr (Entfernung) verantwortlich. Wenn die 3 Zeiger am Geschütz für die Seiten-, Höhen-, Entfernungseinstellung mit den vom Richtgerät gesteuerten Zeigern zur Deckung gebracht waren, konnte man die Kanone abfeuern.
Weil ich damals körperlich relativ groß war und in der Schule gute Leistungen in Sport hatte (auf dem Gymnasium war ich in Hoch-, Weitsprung und Sprinten immer der Klassenbeste), musste ich die Aufgabe der horizontalen Drehung des Geschützes (Seiteneinstellung) übernehmen.
Sobald die elektrische Steuerung des Geschützes versagte, musste die Bewegung des Geschützes mit menschlicher Kraft bewältigt werden. Ohne gewisse körperliche Kraft lässt sich diese Aufgabe nicht erfüllen. Außer diesen 5 Leuten gab es an jedem Geschütz 3 sowjetische Kriegsgefangene für den Transport der Geschosse und der leeren Geschosshülsen. Diese Russen wurden aus den Kriegsgefangenenlagern ausgewählt. Da sie wegen der militärischen Arbeit nicht mehr an Hungersnot leiden mussten, war diese Arbeit für sie überlebenswichtig. Im Kampf setzten sie ihre ganze Kraft ein und waren gehorsam. Aber niemand sollte glauben, dass sie dies alles nur wegen des Schutzes von Deutschland taten."
Die gefährliche Sache mit den geheimen Fotos
Hier stoppte er seine Rede und nahm einige von seinen Fotos heraus, die ihn am Geschütz zeigten: „Diese Fotos zeigen die damaligen mordernsten militärischen Entwicklungen. Das war damals eigentlich ein Tabu, solche Geräte zu fotografieren, aber ich hatte sie zur Erinnerung heimlich gemacht."
Die Engländer waren besser als wir
Nachdem er die einzelnen Fotos beschrieben hatte, kam er wieder auf den technischen Teil zurück:
„Während des 2. Weltkrieges war die Erfindung ultrakurzer Wellen in der Radartechnik (Anmerkung : RADAR hieß es erst nach dem Krieg, vorher waren es bei uns die Funkmeßgeräte) von den Engländern neben der Atombombe eine der Schlüsseltechnologien, die den Krieg wesentlich beeinflussten. Als die Deutschen 1939 eine elektro-magnetische Welle von 50cm senden konnten, hatte das englische Militär noch die 150cm-Welle gehabt. Aber der Fortschritt der Forschung in England war erstaunlich. Ihre Sendewelle verkürzte sich immer weiter, von 150cm, auf 30cm, dann 20cm und im Jahre 1940 konnte in England eine Sendewelle schließlich von 1-3 cm verwirklicht werden.
Katastrophale Folgen für Deutschland
Die Anwendung dieser cm-Wellen im Seekrieg hatte eine katastrophale Folge für die deutschen U-Boote gebracht. Die Anwendung im Luftkrieg hat auch den relativ sichereren deutschen Luftraum in der Nacht endgültig beendet. Die elektro-magnetischen Wellen von 1-3 cm, gesendet von den Leit-Maschinen der Britischen „Royal Air Force", konnten die terrestrischen Objekte sehr präzise in Form von dunklen Schatten zurück reflektieren. Die Maschinen konnten in der Nacht ohne Beleuchtung ihr Bombardement ausführen.
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- Anmerkung : Als vor allem die Jungen Studenten und jungen Ingenieure nach Russand an die Front gejagt / geschickt wurde, waren die innovativen Denker und Forscher nicht mehr da. Wie fatal das war, wollte von den NS- Größen keiner einsehen - bis es zu spät war.
Eigentlich war Deutschland selber schuld am Rückstand der Radartechnologie. Vor dem Krieg war Deutschland führend in der Radiotechnologie. Aber Hitler hatte Angst, dass der Amateur-Richtfunk in das Ausland zur Spionage benutzt werden könnte. Deswegen war die private Anwendung der Funktechnik verboten, so dass die breite Entwicklung dieser Technologie verhindert wurde. England dagegen nahm die deutsche Forschung als Basis und entwickelte die Radiotechnologie weiter. Dies war eine katastrophale Folge für Deutschland."
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Bereits 1940 die ersten Luftangriffe auf Berlin
„Die Luftangriffe auf Berlin fingen im September 1940 an und das Ausmaß nahm zu. Am Anfang waren es 30 bis 50 alliierten Flugzeuge, die sich an den Bombardements beteiligten. Später stieg es bis auf 1000 Flugzeuge. Der Bezirk Tegel, wo wir stationiert waren, hat einen großen See. Der reflektierte Radarstrahl vom See in der Nacht war damals ein wichtiges Referenzziel der britischen Leitflugzeuge. Es war deswegen sehr wichtig aber auch gefährlich, in diesem Gebiet Flakgeschütze zu stationieren. 3 Monate vor unserem Eintritt in das Militär wurden mehr als 10 Luftwaffenhelfer einer anderen Schule von einer Sprengbombe getroffen und sind ums Leben gekommen. 3 Monate nach unserer Stationierung in diesem Gebiet begannen die ersten Luftoffensiven in großem Ausmaß. Der Angriff, welchen ich zum ersten Mal erlebt habe, hatte einen starken Eindruck bei mir hinterlassen.
Eine Nachtaktion im November 1943
Das war eine Nachtaktion von der britischen „Royal Air Force" im November 1943. Das Hauptziel war die Stadtmitte sowie der Nordteil von Berlin. Das Bombardement entwickelte sich wie ein Teppichrollen vom Norden nach Süden. Am Anfang hörten wir in unserer Stellung das Dröhnen so wie das Donnern von weiter Ferne. Dieses Dröhnen der 1000 Bomber näherte sich uns allmählich und wurde immer lauter. Wir hatten schreckliche Angst und hofften nur, dass das Bombardement unterbrochen werden möge, bevor es uns erreichte. Aber dieser „Teppich" rollte auf uns zu. Als das Bombardement schließlich uns erreichte, war der Krach der Bombermotoren und der Explosionen der Bomben sehr stark. Der Himmel war brennend erleuchtet und die Erde wurde stark erschüttert. Ein Flakgeschütz einer anderen Batterie wurde sofort zerstört, keiner hat an diesem Geschütz überlebt. Zum Glück wurde unsere Stellung nicht direkt getroffen.
Die sechseckigen 40cm Brandbomben
Bei den Bombardements auf Berlin haben die Briten häufig kleine sechseckige Brandbomben benutzt, deren Länge etwa 40cm war. Solche Bomben fallen in großer Dichte vom Himmel zur Erde. Das Schlimmste für uns Soldaten im freien Feld war nicht das Brennen der Bombe, sondern, dass die Bombe unseren Körper direkt treffen könnte. Ein Stoß der Bombe auf den Körper führte zweifellos zum sofortigen Tod."
Kämpfen bis zum Umfallen
„In so einer herrschenden großen Angst mussten wir noch weiter kämpfen. Wir wurden aufgefordert, möglichst viel Geschosse abzufeuern. Jede Flakkanone konnte im Kampf bei einem großen Luftangriff mehr als hundert Geschosse abfeuern. Egal ob ein richtiger Militärsoldat, ein Kindersoldat, oder gar ein russischer Kriegsgefangener, jeder gab sich so viel Mühe wie er konnte.
Je mehr Geschosse wir abfeuerten, desto sicherer fühlten wir uns. Das Hauptziel einer Flak ist nicht immer, ein Flugzeug abzuschießen, sondern manchmal auch ein Feuernetz zur Ablenkung der bombardierenden Flugzeuge zu bilden, um das Ziel und den Plan der feindlichen Flugzeuge zu stören oder gar zu verhindern. Nach jedem Luftangriff waren wir wegen großer Nervosität und extremer Körperarbeit völlig erschöpft. Genau so waren es auch die russischen Gefangenen, die für das Heranbringen der Geschosse sowie für die Aufräumung der leeren Hülsen verantwortlich waren.
und dann noch Löschen helfen
Nachdem die Luftangriffe zu Ende waren, durften wir keine Pause machen. Wir mussten bei den brennenden Häusern sofort Feuer löschen. Um den Stolz der Soldaten zu ermutigen, wurde nach jedem Flugzeugabschluss ein weißer Kreis mit Farbe auf dem Kanonenrohr der Flak aufgezeichnet."
Eine neue Berufsorientierung anstelle des Studiums
„In einer halboffiziellen Zeitschrift über Luftfahrt wurde die Bedeutung der Teilnahme der Schülersoldaten an der Luftabwehr so beschrieben: ,Durch das Kennenlernen der Luftabwehrwaffen sowie deren Technologie lernen die Schüler, wie wichtig und wie interessant die Themen sind, die von Ingenieuren, Piloten und Naturwissenschaftlern behandelt werden. Einige Schüler werden sich dadurch beruflich neu orientieren. Diese neue Berufsorientierung bringt mehr Vorteile als den Verlust wegen eines verspäteten Studiums.' Der Krieg unterbrach unser normales Bildungsleben. Aber die Medien vertuschten die Tatsachen."
Von Berlin nach Maribor in Jugoslawien
„Am Anfang unseres militärischen Dienstes wurden jeden 2, bis 3. Nachmittag Lehrer unserer Schule zu uns in die Stellung zur Nachholung des versäumten Unterrichts geschickt. Aber im Unterricht waren die Schüler sehr selten vollzählig. Wir konnten uns nicht mehr auf das Lernen konzentrieren. Ein halbes Jahr später wurde unsere Aktivität als Luftabwehrhelfer in der Heimat beendet. Im Januar 1944 mussten wir Berlin verlassen, die Batterie wurde nach Maribor in Jugoslawien versetzt. Unsere Aufgabe war eine Luftabwehrfront zu errichten, um ein Bombardement auf Wien zu verhindern.
Die wenigsten waren damals 17 Jahre alt
Wir waren in einer Schule auf dem Land untergebracht. Wir schliefen auf Stroh und mussten in der Nacht mit Waffen Wache stehen, um uns vor einen Überfall von Titows Partisanen zu schützen. Seitdem waren wir richtige Soldaten geworden, obwohl wir damals noch nicht mal 17 Jahre alt waren."
Von Prag über Oberschlesien nach Daaden/Sieg
„Im Mai wurden wir nach Prag versetzt und im Juni nach Oberschlesien(damals deutsches und heute polnisches Territorium), um die wichtigen Hydrieranlagen (Benzin aus Kohle) in Cosel gegen Luftangriffe zu schützen. Im Juli 1944 wurde ich zu einem Lehrgang in Hochfrequenz nach Daaden/Sieg im Westerwald (Lager Stegskopf) abkommandiert, um die Radartechnik zu lernen. Die deutsche Führung hatte entschieden, einige Schülersoldaten, die gute Leistungen in Physik hatten, zu einem Kurs Hochfrequenztechnologie zu schicken, um aus dem Rückstand der deutschen Radartechnik herauszukommen. Wir lernten die Technik des Radarkrieges, um die Radarwellen der feindlichen Flugzeuge zu stören.
Wir sollten nicht nur den Hochfrequenzgenerator sehr geschickt handhaben können, sondern auch in der Lage sein, ihn zu reparieren. Die Lagerverwaltung war völlig militärisch. Es gab insgesamt zwei Lehrgänge. Jeder Lehrgang hatte etwa 400 Leute und wurde in Kompanien eingeteilt. Am Ende des Lehrgangs wurden wir von der Luftwaffe als „Ausbildungskompanie Prinz Eugen" übernommen und zur 8. Luftnachrichtenschule nach Halle/Saale geschickt. Hier habe ich im Januar 1945 mein Soldbuch bekommen und bin richtiger Soldat geworden. Zu dieser Zeit war ich gerade einmal 17 Jahre alt."
Der Professor zeigt sein Soldbuch
Der Professor zeigte mir sein Soldbuch. Das Deckblatt dieses Ausweises war dunkelblau. Ein fliegender Adler, der ein Nazi-Hakenkreuz greift, ist das Logo in der Mitte auf der vorderen Seite. Unten steht: „Soldbuch". Auf der Rückseite ist eine Zeile in kleiner Schrift zu erkennen: „ Gilt auch als Personalausweis". Im unteren Teil wird in großer Schrift aufgeführt: „Luftwaffe". In dem Soldbuch sind ausfuhrliche personelle Informationen enthalten, wie z.B. das Passfoto, Name, Ausweisnummer, Kennziffer der dazugehörigen Armee, Geburtsdatum und -ort, vorheriger Beruf, Haarfarbe, Augenfarbe, Bartfarbe, Schuhgröße sowie die Größe der Gasschutzmaske usw.
April 1945 - die Amerikaner kommen
„Im April 1945 näherte sich die amerikanische Armee aus zwei Richtungen Halle." Der Professor setzte seine Erzählung fort: „Die 8. Luftnachrichtenschule der Luftwaffe hatte den Befehl zur Verteidigung der Stadt Halle bekommen. Am 8. April fuhren wir Schülersoldaten in der Stärke von Kompanien zuerst mit LKW und dann liefen wir zu Fuß in westliche Richtung, um gegen die amerikanische Armee zu kämpfen.
Die ersten Toten am 12. April
Am 12. April hatten wir bei Bottendorf mit leichten Waffen das Feuer auf amerikanische Panzer und Infanterie eröffnet. Das Feuer von der amerikanischen Seite war sehr stark. Viele von uns waren verletzt. Mein Nebenmann Koppelberg am Maschinengewehr wurde am Kopf von einer Kugel getroffen und blieb neben mir tot liegen.
Eine andere Kompanie unserer Schülersoldaten war während der Durchquerung der kleinen Stadt Beichlingcn auf die amerikanische Truppe getroffen. Es gab einen schweren Kampf. Zwar wurde ein amerikanischer Panzer zerstört, aber 5 von dieser Kompanie wurden im Kampf getötet. Am gleichen Tag ereignete sich in Ziegelrode noch ein Kampf zwischen unseren Schülersoldaten und der amerikanischen Truppe. Es wurden 9 Kameraden getötet und am Ort beerdigt. Ein weiterer Kamerad fiel während des Kampfes ins Wasser und ertrank. Noch heute sind die Namen der in diesem Kampf gestorbenen Kameraden bekannt. Sie sind im Buch „Wir Stegskopfer" protokolliert.
Die schlichte Erkenntnis : Siegen unmöglich
„In der Tat war es uns unmöglich, die Amerikaner zu besiegen. Wir haben uns zurückgezogen in den Wald. Dann erhielten wir einen Befehl, dass wir den Kampf aufgeben und uns auflösen sollten. Das war der letzte Befehl, den wir im langen Krieg bekommen sollten.
Dieser Befehl bedeutete eigentlich das Akzeptieren der Kapitulation. Wir sind auf diese Weise zu Kriegsgefangenen der Amerikaner geworden. Die Kapitulation war recht einfach. Unter der Überwachung der bewaffneten Amerikaner mussten wir mit beiden Händen unsere Waffe hochheben und zu einer bestimmten Stelle gehen. Dort wurden alle Waffen, Helme und Gasmasken abgelegt.
Dann gingen wir mit bloßen Händen wieder zurück in die Gefangenenzüge. Bei der Entwaffnung hatte ich meine Mütze absichtlich in die Hosentasche gesteckt und nicht weggeworfen. Diese Mütze hatte mir in meinem späteren Leben in der Gefangenschaft im Freien sehr geholfen, vor allem als Sonnen- und Regenschutz. Deshalb waren viele andere Gefangene neidisch auf mich."
In den berüchtigten Gefangenenlagern auf den Rheinweisen
In der Endphase des Krieges waren wenige junge Soldaten übrig geblieben. Deswegen waren viele Gefangene im Lager alte Soldaten und Schüler von der Oberstufe zwischen 17 und 19 Jahren. Es gab kein Zelt, keine Decke und auch keinen Schutz gegen Regen. Wir waren dicht zusammengedrängt auf dem freien Gelände und verbrachten unsere Zeit mit Langeweile. Am Tag wurden wir von der Sonne bestrahlt und in der Nacht froren wir. Am schwierigsten war die Regenzeit. Wir wurden von dem Regen begossen und der ganze Körper war nass. Alle kauerten sich zusammen und hofften nur, dass der Regen schnell vorbei ging. Die Kleidung wurde nur mit unserer Körperwärme getrocknet.
Und dann der Hunger in den Lagern
Es gab nicht genug Lebensmittel, in den ersten Wochen nur eine kalte Mahlzeit. Die amerikanischen Soldaten stellten sich in zwei Reihen auf und dazwischen bildeten sie einen Durchgang. Auf einem Tisch lagen kleine Proviant-Päckchen der US - Armee, die z.B. Käse, Schokolade, getrocknetes Fleisch und Kekse enthielten, aber kein Obst und kein Gemüse. Von den Gefangenen wurde verlangt, in Reihe zu stellen und die Päckchen nur im Rennen zu holen. Wir mussten schnell rennen, es mussten ja bis zu 100.000 Gefangene eines Lagers abgefertigt werden. Die an der Seite stehenden Amerikaner schrieen ganz laut: „Quickly! Quickly!"
Und dann der Duchfall
„Von April bis Juni 1945 war es die schwerste Zeit in meinem Leben als Gefangener. Im Laufe des Vormarsches der Amerikaner in Deutschland kamen die Verbrechen der Nazis ans Licht. Die Amerikaner waren geschockt und der Hass auf die deutschen Gegner nahm zu. Dieser Hass hat sich nach dem Krieg im Mai auch auf die deutschen Gefangenen erstreckt. Unser Gefangenenlager nördlich von Kassel wurde an den Rhein verlegt. Je zehntausend Gefangene waren in einem Rechteckblock zusammengefasst. Block für Block erstreckten sich die Gefangenenlager entlang dem Rhein. Die Blöcke (Cages) wurden mit Eisenstacheldraht getrennt.
Weil wir Kriegsgefangenen lange Zeit kein Gemüse, Brot und keine Kartoffeln bekamen, gab es sehr häufig Probleme mit dem Stuhlgang. Deshalb war ich körperlich sehr schwach. Trinkwasser war sehr knapp und wurde streng kontrolliert. Es gab keine Müllbeseitigung. Es gab auch nur eine Grube als Toilette. Die Umgebung wurde von Tag zu Tag immer schlammiger und schmutziger. Aus Angst vor einem möglichen Ausbruch einer Epidemie mussten die Amerikaner Maßnahmen der Desinfektion ergreifen. Briefverkehr und Kommunikation nach Außen waren verboten. Über ein halbes Jahr lang nach dem Krieg wussten meine Eltern nicht, ob ich noch lebte oder nicht. Es ist für mich auch vorstellbar, wie die Amerikaner die Gefangenen von Taliban oder aus dem Irak behandeln würden. Zu Weihnachten wurde uns zum ersten Mal erlaubt, Postkarten nach Außen zu schicken."
England, Amerika, Frankreich und die Sowjetunion
„Das Schicksal für die deutschen Soldaten war am Kriegsende fast nur die Kriegsgefangenschaft. Die Sieger behandelten die Gefangenen je nach dem Land unterschiedlich. Vom Guten bis zum Schlechten aufgezählt, wären es England, Amerika, Frankreich und die Sowjetunion. Bei der Behandlung der deutschen Gefangenen haben sich die Engländer am ehesten an die internationalen Regeln gehalten. Bei den Russen war der berechtigte Hass gegen die Deutschen sehr groß. Aber die Russen waren emotional. Waren sie betrunken, verhielten sie sich wie verrückt. Bei Bewusstsein zeigten sie auch Sympathie."
Gefühlter Hass bei den Franzosen
„Im Juli 1945 wurden wir nach Frankreich verlegt. In Frankreich geschah es häufig, dass die Bürger auf uns spuckten oder Steine auf uns warfen. Ein kleines Ereignis hat bis heute einen tiefen Eindruck hinterlassen. Auf der Bahnfahrt in Frankreich winkte uns ein kleines Kind auf dem Arm seiner Mutter zu. Beinahe hätten wir zurückgewinkt, wenn die Mutter nicht sofort die gehobene Hand des kleinen Kindes niedergedrückt und dem Kind eine Ohrfeige gegeben hätte. Der Hass der Franzosen auf die Deutschen war sehr tief verwurzelt. Bevor ich in die Armee ging, habe ich häufig russische Gefangene gesehen. Der schlechte Zustand der Gefangenen hat Mitleid bei vielen deutschen Bürgern hervorgerufen. Viele deutsche Bürger haben ihren Kopf weggedreht, um die schreckliche Situation nicht wahrzunehmen. Kaum einer hätte gegen die Kriegsgefangenen Steine geworfen oder andere Angriffe vorgenommen. Das liegt vielleicht am Mentalitätsunterschied zwischen verschiedenen Nationen. Im Zweiten Weltkrieg waren die Deutschen in der Armee als Masse aggressiv. Aber sie hätten nicht als einzelne Bürger die entwaffneten schwachen Soldaten angegriffen oder gedemütigt."
In einem amerikanischen Gefangenenlager in der Normandie
„Wir wurden in ein amerikanisches Gefangenenlager in der Normandie von Frankreich verlegt. Wir konnten endlich in Zelten wohnen. Aber es gab immer noch keine Bettdecke und Unterlagen. Wir mussten Kartons und Pappe aus Verpackungen als unsere Unterlage verwenden. Nach mehrmaligem Verlangen von uns hatten wir endlich Bettdecken bekommen. In Frankreich bekamen wir eine Umerziehung zur Demokratie. Der Lehrer war ein deutscher Gefangener, der in Amerika einer „Gehirnwäsche" unterzogen worden war. Er erzählte jeden Tag über das Leben und die Demokratie in Amerika. Wir konnten uns nur in der ersten Hälfte der Unterrichtszeit konzentrieren. In der zweiten Hälfte warteten wir nur noch auf das Essen, weil wir immer einen unerträglichen Hunger hatten. Unsere größte Erwartung war das Mittagessen, weil wir warme Suppe bekamen. Zu Abend bekamen wir nur ein Stück Brot.
Hungern und in Gedanken kochen üben
Wenn wir Jungs zwischen 17 und 18 Jahren aus Hunger nicht einschlafen konnten, setzten wir uns zusammen und nahmen gemeinsam eine Mahlzeit in Gedanken zu uns. Wir unterhielten uns z.B. über Backen von Kuchen. Jeder entwickelte sein eigenes Rezept in der Fantasie. Wie viel Fett, wie viel Eier, wie viel Milch für den Kuchen verwendet werden sollen, durfte jeder selbst entscheiden. Einige haben solche Sonderrezepte aufgeschrieben.
Durch die Unterhaltung wurde der Hunger noch größer. Speichel bildete sich im Mund. Manche gingen aus Hunger beim Arbeitseinsatz dann zur Mülltonne von den amerikanischen Soldaten und suchten nach Resten von Käse und Brot."
Ich hatte noch nie einen Schwarzen gesehen
„Die überwachenden amerikanischen Soldaten behandelten uns unterschiedlich. Die jüdischen Soldaten waren sehr böse zu uns. Die Schwarzen dagegen waren gegenüber uns Kindersoldaten recht freundlich. Das waren die ersten Schwarzen, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe."
Nach Monaten die esten Nachrichten - sogar täglich
„Am Ausgang des Lagers hing eine Tafel für tägliche Nachrichten. Diese Tafel hat mich sehr interessiert. Dort erfuhr ich, dass die Nazis viele Juden getötet hatten, dass Israel gegründet werden soll, dass die Verwaltung von Berlin von 4 Großmächten - Amerika, Sowjetunion, Groß-Britannien und Frankreich - übernommen wurde.
Die Gefangenen aus Berlin versuchten dann zu erfahren, wie die vier Zonen aufgeteilt waren, um zu wissen, in welcher Zone ihre Familien waren. In den Lautsprechern des Gefangenenlagers wurden jeden Tag dieselben amerikanischen Lieder gesungen. Die unveränderte eintönige Musik machte mich fast verrückt."
Bei uns war es sehr gefährlich, über Politik zu sprechen
„Im Krieg wurden in Deutschland die Nachrichten streng kontrolliert. Keiner kannte die politische Lage richtig und keiner traute sich, über Politik zu sprechen. Erst im Gefangenenlager erfuhren wir über den Holocaust, über die Verbrechen im Dritten Reich. Es war schwierig für uns zu glauben, dass die Nazis so etwas Brutales gegen die Juden getan hatten, zumal die Morde an den Juden nichts mit dem Krieg zu tun hatten."
Die ersten durften Nachhause
„Bald begann man die Kriegsgefangenen zu repatriieren oder an die Franzosen zu übergeben. Es wurden zuerst diejenigen freigelassen, die Berufserfahrungen oder technische Fähigkeiten hatten, denn Deutschland brauchte zur Rückkehr zum normalen Leben und zum Aufbau solche Leute. Bäcker, Facharbeiter, Fischer, Fahrer oder die Leute, die Englischkenntnisse besaßen, wurden nach Hause geschickt. Wir Schüler hatten Pech. Wir hatten keine Berufserfahrung und konnten nur zuschauen, wie die Anderen mit Freude nach Hause gingen.
Im Dezember 1945 - Arbeit in einer Küche
Im Dezember 1945 wurde ich nach Stenay bei Verdun, Frankreich, versetzt. Ich bekam eine Arbeit in der Küche. Danach litt ich nicht mehr unter Hunger. Am 28. Mai erhielt ich von den Amerikanern alle Dokumente für die Freilassung. Man musste die vollständigen Dokumente haben, um sich nachher in der Heimat anmelden und die Bescheinigung für Lebensmittel und eine Arbeitserlaubnis erhalten zu können."
Ein Empfehlungsbrief der Amerikaner
Dann zeigte mir der Professor ein Papier. Es ist ein Empfehlungsbrief von der Verwaltung des amerikanischen Gefangenenlagers. Der Brief wurde in Englisch und in Deutsch verfasst. Es wurde so geschrieben: Der gefangene Soldat, Helmut Kratzsch, Gefangenschaftsnummer 31G3131233, war von Dezember 1945 bis Mai 1946 unter unserer Verwaltung. Er arbeitete in dieser Zeit als Koch bei uns. Wir sind sehr zufrieden mit ihm sowie seiner Arbeit. Er ist vertrauenswürdig, zuverlässig und tüchtig. Daher möchten wir Herrn Kratzsch an die entsprechende Stelle empfehlen und bitten um die mögliche Unterstützung für seine Rückkehr in das berufliche Leben.
Mit 19 machte ich Abitur
Der Professor setzte fort: „Mit diesem Empfehlungsbrief kehrte ich nach einer 2-wöchigen Quarantäne in einem russischen Lager (Brandenburg) im Juni 1946 nach Reinickendorf, Berlin, zurück.
Obwohl ich damals noch nicht mal 19 Jahre alt war, hatte ich schon das Gefühl, viele Wechselfelle im Leben mitbekommen zu haben. Ich ging wieder zurück in das gleiche Gymnasium. Ein Jahr später machte ich Abitur. Ich wollte Geodäsie an der TU Berlin studieren. Vermessungswesen war damals ein sehr beliebtes Studienfach. Nach dem Krieg waren in Deutschland überall Ruinen und Trümmer. Beim Aufbau und der Landzuteilung an Flüchtlinge benötigte man Vermesser.
Enttäuschung - für einen Studioenplatz zu jung
Aber es war schwer, einen Studienplatz für eine gute Fachrichtung zu bekommen. Die Universität bot zwar einen Sonderkursus für die ehemaligen Soldaten an, um die wegen des Krieges verpassten Kenntnisse nachzuholen. Aber dieser Kursus galt nur für die Studienanfänger zwischen 25 und 30 Jahren.
Ich stand in einem Delemma: Als normaler Abiturient war ich zu alt und deshalb in einer schlechten Position bei der Konkurrenz für den Erwerb eines guten Studienplatzes. Als ehemaliger Soldat war ich wieder zu jung und wurde beim Sonderkursus der Universität nicht berücksichtigt. Als ich hörte, dass das Markscheidewesen im Prinzip eine bergbauliche Vermessungskunde ist, habe ich mich nach einem 2-jährigen Studium der Vermessungstechnik an der Berliner Bauingenieurschule für diese Fachrichtung entschieden. 1951 begann ich an der TU Clausthal mein Studium für Markscheidewesen.
1957 Das Studium abgeschlossen und eine Stelle
1956 habe ich mein Studium abgeschlossen und im Jahre 1957 habe ich eine Stelle als Hochschulassistent an der TU Berlin bekommen. Dort übte ich meine Tätigkeit in Forschung und Lehre aus und zugleich machte ich meine Doktorarbeit. 1960 erhielt ich meinen Doktortitel. Da die Bergbauindustrie immer mehr im Rückgang war, habe ich mich entschieden, an der Uni in Berlin zu bleiben. 1963 habe ich meine Habilitation gemacht und 1970 bin ich schließlich Uni-Professor an der TU Berlin geworden."
1995 - Mit 68 in Pension
„Mit 68 Jahren ging ich im Jahre 1995 in Pension. Jetzt bin ich zu Hause, erweiterte mein Buch „Bergschadenkunde" und ab und zu mache ich auch fachliche Gutachten. In der restlichen Zeit mache ich zu Hause Haus- und Gartenarbeit. Sport ist mein Hobby. Bis zu meinem 60ten Lebensjahr fuhr ich jeden Tag mit dem Fahrrad 30km. Später fing ich an, im Keller täglich 30 Minuten Fitness-Training zu machen. Ich fahre kein Auto und bin gewohnt, mit Bus oder Fahrrad zu fahren oder gar zu Fuß zu gehen. Sehen Sie, das Leben vergeht so schnell. Ich erzähle Ihnen meine Kriegserlebnisse, die vor über einem halben Jahrhundert geschehen sind, wie eine Geschichte von gestern."
25 von uns trafen sich wieder
„Ich treffe häufig die damaligen Schülersoldaten. Wir waren gemeinsam in der Schule, alle an der Kriegsfront und auch im Gefangenenlager. Deshalb hat sich unter uns eine tiefe Freundschaft gebildet. Früher kamen häufig etwa 25 Leute zum Treffen. Jetzt ist nur noch ca. die Hälfte am Leben.
Hier stoppt Professor Kratzsch und lächelt. Dies erinnert mich an seine gewöhnliche Gestik immer am Ende seiner Vorlesung.
Professor erzählt weiter: „Jetzt komme ich zurück auf Ihre Frage am Anfang: Warum ich in der Friedenszeit auch die Kriegsversorgungsgüter zu Hause gelagert habe. Der Krieg hat sich bei mir sehr stark eingeprägt. Ich habe erlebt, wie ein Land zusammengebrochen ist und wie schlimm es ist, wenn das eigene Schicksal in der Hand der anderen liegt. Zur Zeit des Kalten Krieges gab es kein sicheres Gefühl. Ich hatte immer die Sorge, dass der Krieg eines Tages wiederkommt. Die Sorge wurde erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands allmählich reduziert. Aus diesem Grund bin ich gewohnt, einige Versorgungsgüter für den Notfall aufzuheben."